Karnevalskomatös gekickt

Nach dem 2:0-Erfolg gegen die Frankfurter Eintracht ist beim 1. FC Köln der Wunderglaube ausgebrochen, auch wenn, glaubt man Dirk Lottner, mancher Traum alkoholische Gründe hat

AUS KÖLN ERIK EGGERS

Es hätte leicht gespenstisch werden können. Hatten die meisten der 45.500 Zuschauer, die Samstag nach Köln-Müngersdorf gekommen waren, doch betonfest einkalkuliert, dass diese Saison mit dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt beerdigt werden würde. Alles rechnete mit einer weiteren Niederlage des FC, der letzte Sieg (gegen Gladbach) datierte immerhin aus dem Januar. Aber dann kam es, wie so oft im Fußball, ganz anders. Keine elegischen Nekrologe wurden angestimmt, kein enttäuschter Pfiff hallte durch die atmosphärisch dichte Fußballarena, sondern die Kölner Fans feierten eine emphatische Party wie sonst nur zu komatösen Karnevalszeiten. Dass ihr Klub den Abstand auf einen Nichtabstiegsplatz trotz des verdienten 2:0-Heimsiegs kaum verkürzt hatte, sollte in diesen süßen Momenten keine Rolle spielen. Zu sehr hatte sich das Publikum vom Geschehen auf dem Rasen verzaubern lassen.

Bereits früh war der Gastgeber durch ein skurriles Kopfball-Eigentor von Ingo Hertzsch, der an diesem Tag ein ziemliches Desaster erlebte und kaum einen Zweikampf gewann, früh in Führung gegangen. Was nun folgte, war ein Sturmlauf der Kölner Mannschaft, deren Durchschnittsalter bei bemerkenswert jungen 23,4 Jahren lag, und die laut Marcel Koller „beste erste Halbzeit“, seitdem er im Herbst FC-Trainer geworden war. Zwar wirkte die Abwehr wieder einmal nur eingeschränkt souverän. Doch in der zuletzt so gescholtenen Offensive tat sich Erstaunliches: Der offensive Mittelfeldspieler Florian Kringe etwa verlor kaum einen Zweikampf und glänzte durch famose Spieleröffnungen – hervorragend assistiert durch Giovanni Federico, der in seinem ersten Bundesligaspiel von Anfang an „seine Sache sehr gut“ (Koller) machte. Kein Zufall jedenfalls, dass Kringe und Federico schließlich in der 35. Minute das 2:0 vorbereiteten. Die von Federico abgefälschte Steilvorlage Kringes erlief Hoffnungsträger Lukas Podolski, der, gleichwohl abgedrängt, aus spitzen Winkel einschießen konnte.

Spätestens dieser grandiose Treffer sorgte für einen Begeisterungssturm im Dezibelgrenzbereich. Speziell die Südtribüne, auf der die hingebungsvollsten Fans des Vereins ihren Idolen folgen, jubelte nun ekstatisch über Szenen, die sie seit Jahren nicht mehr erleben durften. So zum Beispiel kurz vor der Pause über ein großartiges Dribbling von Rechtsaußen Albert Streit: Der stand an der Seitenlinie und verteidigte, mit dem Rücken zu seinem Gegenspieler Henning Bürger stehend, den Ball mit seinem Körper. Um sodann das Spielgerät mit der Ferse durch die Beine Bürgers Richtung Torauslinie zu bugsieren und noch dazu eine herrliche Flanke zu schlagen. Das war eine impertinente Aktion im Stile Maradonas, an der sich die depressionsgewohnten Fans in Köln noch länger laben werden. Durchaus verzeihlich fanden sie daher, dass es das eigene Team in der zweiten Halbzeit ruhiger angehen ließ und sich auf die Verteidigung des Vorsprungs beschränkte. Auch das gelang einigermaßen erquicklich, obwohl Frankfurt, das zunächst mit sieben (!) Defensivakteuren begonnen hatte, nach der Pause mit Frommer und Beierle zwei neue Stürmer gebracht hatte.

Von der eigenen Leistung beflügelt, haben die Kölner jedenfalls das kaum Machbare noch nicht aufgegeben. „Eigentlich ist es schon fast zu spät“, räumte zwar der großartig aufgelegte Außenverteidiger Alexander Voigt ein, aber einen Sieg im kommenden Spiel in Hannover vorausgesetzt, könne „man noch einmal träumen“. Stefan Wessels schöpfte ebenfalls wieder Hoffnung. „Wenn wir jetzt eine Serie starten, können wir vielleicht noch ein kleines Wunder schaffen“, meinte der Keeper. Coach Koller sprach herbergeresk nur vom nächsten Spiel: „Wir haben Möglichkeiten in Hannover.“

Angesichts der Euphorie trat ein Eklat in den Hintergrund, der sonst nicht nur den Boulevard schwer beschäftigt hätte: Der Fall Dirk Lottner. Trainer Koller hatte den von Fans verehrten Kapitän am Freitag zur Überraschung aus dem Kader gestrichen, wie auch Jörg Heinrich. Beide hatten, so die Begründung, nicht mit letztem Einsatz trainiert, ein für Lottner „absolut lächerlicher“ Vorwurf, gegen den er sich in einem Interview heftig zur Wehr setzte. „Hier wurde doch monatelang nicht auf Trainingsleistung geachtet. Im Gegenteil. Hier sind Spieler am Tag vor einem Spiel mit einer Alkoholfahne zum Training gekommen“, sagte er am Samstag im Balkenblatt Express und fügte säuerlich hinzu: „So hat mich selbst Ewald Lienen nicht behandelt.“