Kleider einer Heldin

Für Vivienne Westwood handeln Kleider davon, die Form des Körpers radikal zu verändern und zu manipulieren. Nur das ist Mode – alles andere wäre Stil. Das Victoria & Albert Museum in London feiert die Designerin mit einer großen Retrospektive

VON BRIGITTE WERNEBURG

Das hinreißende Ballkleid aus grünem Seidentaft ist eines der bekanntesten Kleider aus den Kollektionen der 90er-Jahre. Sein frei fallender Rücken zitiert so viel Rokoko, dass es einfach „Watteau“ heißen muss. Es wird in den Räumen vermisst, in denen das Victoria & Albert Museum mit rund 150 Modellen die umfangreichste Ausstellung präsentiert, die es je einem britischen Modedesigner widmete. Wer jedoch vom rechten Weg zu „Vivienne Westwood. 34 Years in Fashion“ abkommt, wer sich im Gewirr der vielen Flügel und Gänge des Mammutmuseums glücklich in die ständige Sammlung der Kostümabteilung verirrt, der wird sich plötzlich vor genau diesem Kleid wiederfinden. Es entstammt in gewisser Weise dieser international wohl bedeutendsten Modesammlung eines Kunstgewerbemuseums, denn hier studierte Vivienne Westwood in langen Stunden die historischen Vorlagen und Kleider, die sie dann in zeitgenössische Mode umformatierte.

Plötzlich und unerwartet erscheint die „Watteau“-Wolke auch auf der großen Party, die das V & A zu Ehren der Modemacherin gab. Das Abendkleid schmeichelte der wenigstens 60 Jahre alten, üppigen Lady, die ihn trug, nicht weniger als dem Supermodel Linda Evangelista bei seiner Premiere acht Jahre zuvor. Geradezu unvermeidlich musste die reife, erfahrene Dame wie niemand sonst der Idee, die Vivienne Westwoods Entwurfspraxis zugrunde liegt, glanzvollen Ausdruck geben. Denn Westwoods Strategie in puncto Mode und Gesellschaft heißt in den Worten der amerikanischen Künstlerin Barbara Kruger: „Your Body is a Battleground.“

Die Zeit freilich, in der sich Vivienne Westwood gemeinsam mit dem Kunststudenten und späteren Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren aufmachte, dieses Schlachtfeld überhaupt zu eröffnen, erscheint heute sehr weit entfernt, da offenbar ein bloßes Kopftuch genügt, ganze abendländische Kulturen an den Rand des Abgrunds zu treiben. Ja, die Nostalgie schlägt mit voller Wucht zu, angesichts der Hemden und T-Shirts aus den Zeiten des Punk, die den spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti mit Parolen wie „Wir haben keine Angst vor Ruinen“ zitieren. Es waren glückliche Zeiten, als die Westwood und McLaren harmlosen, pickligen Jungs Slogans wie „Create Hell and Get Away With It“ an die schmale Brust hefteten. Das wissen wir heute, wo etwas anders geartete muslimische Machos solche Parolen jederzeit in die Praxis umsetzen und man glaubt, die Überwachungskameras im Zentrum Londons mehr und mehr schätzen zu müssen. „Seditionaries. Malcolm McLaren und Vivienne Westwood. Kleider für Helden“ stand über dem Laden in der King's Road 430, in dem ihnen die Teile aus den Händen gerissen, genauer gesagt, in Massen geklaut wurden. Bevor der Laden 1976 mit seiner Inneneinrichtung die Bombardierung Dresdens feierte, hat er schon unter den Namen „SEX“, „Too Fast to Live, Too Young to Die“ und „Let it Rock“ firmiert. Es gibt ihn noch immer. Seit 1979 trägt er den Namen „World's End“. Dort hat der Tag dreizehn Stunden, weil die Zeit rückwärts läuft. So zeigt es die große Uhr über seinem Eingang an.

Das V & A hat sie als Replik an den Anfang ihrer Westwood-Schau gestellt, neben die große Schwarzweißfotografie eines extrem hübschen, jungen Mädchens. Mit der Henkeltasche im Arm und dem unterm Kinn geknoteten Chiffon-Kopftuch – doch, damals wurde das noch als sexy wahrgenommen – schaut die 18-jährige Vivienne Isabel Swire schon außerordentlich stylish aus. Doch als Frau, die aus einer Arbeiterfamilie stammt, ist sie in Großbritannien zunächst einmal nicht dafür prädestiniert, die Nation in Stil- und Modefragen an international führende Stelle zu bringen. Eine Menge Wut und Mut war nötig – und eben jene „innere Uhr, die immer gegen alles tickt, was orthodox ist“, wie sie sagt, um jene Vivienne Westwood zu werden, deren Platz in der Geschichte der Mode jederzeit neben Chanel ist.

Trotz des Zeit raubenden Versprechens der verrückten Uhr verläuft der Parcours dann aber ganz traditionell, beginnt also mit den frühen Versuchen und endet bei der aktuellen Herbst/Winter-Kollektion 2005. Vivienne Westwood begann bescheiden, mit T-Shirts. Sie haben kleine Plastikfenster, in die Fotos von nacktbusigen Pin-up-Girls oder Hollywood-Diven eingelassen sind. Wie das berühmte „Venus“-T-Shirt sind sie mit Pferdehaaren und Hühnerknochen aufgepeppt, von Metallnieten ganz zu schweigen, und verblüffen mit Armausschnitten, denen Streifen aus Motorradreifen vorgeblendet sind. Doch bald geht es wirklich um „SEX“, um Fetisch-Kleidung, teils aus Geschäften für, wie man damals sagte, Ehehygiene importiert, teils in Eigenregie angefertigt. So wie etwa das einer Zwangsjacke verwandte „Parachute“-Shirt oder die berühmte Bondage-Hose. Dass sie zwischen den Knien mit Gurten zusammengenäht ist, ging auf eine Idee von Malcolm McLaren zurück. Vivienne Westwood fügte die raffinierten Couture-Details hinzu wie die so genannte Arschklappe aus Frottee, die wie ein Lendenschurz fungiert, und den Fetisch-Reißverschluss, der unmittelbar im Schritt verläuft.

Entgegen ihrem Aussehen soll die Hose bequem zu tragen sein. Das mag stimmen. Grundsätzlich ist aber Bequemlichkeit für Vivienne Westwood keine gültige Kategorie. Westwood ist, und das macht eine ihre größten Stärken aus, keine Vertreterin der Moderne. Trageleichte, funktionale Kleidung ist ihr geradezu ein Gräuel. Mit einigem Recht unterstellt sie, schlichte, minimalistische Formen und dezente Farben seien nur Ausdruck der Angst, gegen den herrschenden Geschmack zu verstoßen, und des Versagens, ein komplexeres Stilempfinden entwickelt zu haben. Auch wenn sie den Körper zum Schlachtfeld gesellschaftlicher, politischer und sexueller Auseinandersetzungen erklärte, sie hat nie eine Uniform für den Feldzug ins Büro entworfen. Emanzipation erzwingt sie durch die physische Behinderung des weiblichen Körpers, die als Wahrzeichen der Westwood’schen Entwürfe gelten kann. Das eigene Empfinden ist dabei wichtiger als die äußere Erscheinung. Zwar spricht ein Vivienne-Westwood-Kleid schon als bloßes Bild vom Selbstbewusstsein seiner Trägerin, doch viel stärker noch bringt es dieses Selbstbewusstsein erst hervor. Das Gefühl des Beengtseins in Miedern und Korsagen oder der Schiefheit in den asymmetrischen Schnitten bringen den Körper in Erinnerung und machen die Haltung bewusst. Das zwingt die Trägerinnen, ihre ganz eigenen Haltungen zu erproben, und verführt sie, Weiblichkeit und Sexualität aus dieser individuellen Haltung heraus und eben nicht als allgemeines, vorgefertigtes Bild von Sexyness darzustellen.

Manchmal freilich kommt eine Frau dabei ins Stolpern. Sie fällt dann tief, wie Naomi Campbell bei der „Anglomania“-Herbst/Winter-Kollektion 1993/94. Prominent sind die fünfundzwanzig Zentimeter hohen blauen Plateau-Pumps aus falschem Krokodilleder, auf denen sie ins Stolpern kam, nun als Fetischobjekt in der V-&-A-Schau ausgestellt. Doch damit ist man schon im zweiten Teil der Ausstellung angekommen, der die Kollektionen aus den 90er-Jahren bis heute zeigt. Die Faszination der historischen Schnitte und Kostüme, die im Fall ihrer „Portrait“-Kollektion von 1990 tatsächlich den Gemälden alter Meister entstiegen sein sollen, ist ungebrochen. Zuvor allerdings erkennt man an den Piratenkleidern mit ihrem tiefen Hosenboden, an dem über der Oberkleidung getragenen Büstenhalter aus braunem Satin oder der berühmt-berüchtigten Feigenblatt-Strumpfhose, die zum englischen Jagdrock getragen wurde, dass die barocke Pracht durchaus zeitgenössisch aus postmoderner sexueller Anmache hervorging. 40 Jahre alt war sie immerhin schon, als sie 1981 mit „Pirates“ ihre erste Kollektion in London herausbrachte und sich als Modedesignerin zu verstehen begann. Ein Schritt, den das V & A mit vollzog, indem es sofort einige Ensembles für seine Modesammlung ankaufte. Es handelt sich also um eine lang gepflegte Beziehung, die das Museum jetzt mit seiner Ausstellung feiert. Mit „Savage“ 1982 folgte Westwoods Auseinandersetzung mit den Schnitttechniken außereuropäischer Kulturen, mit „Mini-Crini“ 1984 die Rückkehr der Krinoline samt Hüftpolster und Drahtkorb; provokativ stellte sie einen dicken weiblichen Hintern gegen die breite maskuline Schulter, die die 80er-Jahre prägte. Ihre Biografin Jane Mulvagh nennt sie deshalb „eine Ketzerin“.

„Harris Tweed“ 1987 bedeutete ihre ironische Versöhnung nicht nur mit der englischen Schneiderkunst, sondern dem Stil der englischen Oberschicht überhaupt, der nun in Miniröcken und aufreizenden Bustiers neuen, freakigen Glamour entfaltet. Besonders in dieser Kollektion personifiziert Vivienne Westwood für die Ausstellungskuratorin Claire Wilcox eine spezifisch britische Spezialität, „die Verbindung von grenzenlosem Nonkonformismus und einem großartigen Sinn für Tradition“. Doch „Harris Tweed“ markiert auch einen Bruch: die Trennung von McLaren. Ihr Name wird nun zum Label, das sie mit dem Reichsapfel schmückt, dem Markenzeichen, das sie ihrem Stofflieferanten, der Harris Tweed Authority, klaut.

Die kleinen Details sind es auch, in denen man sich immer wieder verliert. Man möchte die Kleider in die Hand nehmen, sie umdrehen und schauen, wie denn etwa die Eingriffstaschen der Kostümjacke gemacht sind, deren üppige Form im Jackett offensichtlich nicht unterzubringen ist und die deshalb aus dem Einschnitt so lustig herausplustern. Vieles in den Kollektionen der 90er-Jahre ist nicht nur historisches, sondern auch Selbstzitat. Dabei werden die Schnitte immer raffinierter, die Verarbeitung immer perfekter. Vivienne Westwood skizziert ihre Entwürfe nicht, sie modelliert sie an einer verkleinerten Schneiderpuppe, eine Methode, die sie von Madeleine Vionnet, der Pariser Modemacherin der Vorkriegszeit, übernahm. Das mag zum einen dem Stil der Autodidaktin entsprechen, zum anderen ist dieses Vorgehen näher an ihrer Haltung zur Mode überhaupt. Kleider, so sagt sie, handeln davon, die Form des Körpers radikal zu verändern und zu manipulieren. Nur das ist Mode. „Alles andere betrachte ich als Stil. Einfach Dinge zu kombinieren, das hat mit Mode nichts zu tun.“ Ihr neuester Körper ist übrigens ein schlanker, mädchenhafter Körper, bei dem nur die Becken- und die schmale Hüftpartie betont werden, und er kommt völlig ohne historische Anleihen aus.

Gerade weil sich viele ihrer Ideen in die Alltagsmode eingeschlichen haben: Vivienne Westwood ist ein artist’s artist. Jeder bekannte Designer drückt seine Hochachtung vor ihr aus, und jeder verdankt ihr wenigstens eines seiner bekanntesten Features. So gehen etwa die nach außen gewendeten Nähte bei Martin Margiela, Madonnas Satin-BH bei Jean-Paul Gaultier, das ausgefranste Chanel-Kostüm bei Karl Lagerfeld oder der kurze Ballonrock bei Christian Lacroix auf ihre Steilvorlagen zurück. Ohne die Bewunderung und die Unterstützung durch Kollegen wie Jean-Charles de Castelbajac oder Azzedine Alaïa wäre sie oft nicht über die Runden gekommen. Erst mit Mitte 50 verdiente sie einigermaßen mit ihrer Mode und konnte von da ab ihr Haus konsolidieren. Bislang musste es bei keinem der großen Modekonzerne Unterschlupf suchen. Niemand ging in diesem Geschäft so wenig Kompromisse ein wie sie. Vielleicht sollte, wer arm lebt, wie sie es lange Jahre tat, wirklich Kleider machen. Denn wie sie sagt: „Man hat ein schöneres Leben, wenn man beeindruckende Kleidung trägt.“

Bis 11. Juli, Katalog 30 Pfund