Gesundheitspaket ohne Rückgaberecht

Union will nur ein Gesundheits-Gesamtpaket verhandeln. Schmidt jedoch will ihr Gesetz am Bundesrat vorbeischleusen

BERLIN taz ■ Die Union bangt erkennbar um ihre Mitsprache bei der Gesundheitsreform. Der Vizeunionsfraktionschef und Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) sagte am Mittwoch, die Länder müssten beteiligt werden. Ohne die Länder sei das Reformvorhaben „nicht leistbar“, erklärte er. Zuvor hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Opposition aufgefordert, sich schon im Bundestag mit der Regierung über das Reformgesetz zu verständigen – und nicht erst im Vermittlungsausschuss.

Was nach bloßen Verfahrensfragen klingt, ist entscheidend für das Schicksal der Reform. Die Regierung rechnet längst nicht mehr damit, dass die Union über das Reformgesetz redet, bevor sie es im Bundesrat einmal hat durchfallen lassen. Nicht zuletzt sind im September Landtagswahlen – zwar in Bayern und also mit erwartbarem Ausgang. Dennoch wird sich der Ingolstädter Horst Seehofer die Gelegenheit zum Wahlkampf nicht nehmen lassen.

Deshalb hat Schmidt angekündigt, dass sie das dickleibige Gesetz (Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, GMG) nach Möglichkeit am Bundesrat vorbeischleusen wolle. Das geht, indem sie die Teile, die nicht im Bundesrat zustimmungspflichtig sind, abspaltet und mit rot-grüner Bundestagsmehrheit verabschieden lässt.

Der Trick dabei: Die Regierung verrät noch nicht, welche Teile. Und man braucht offenbar schon den Expertenapparat diverser Ministerien, um dies auszutüfteln. Vermutlich werden etwa die Tabaksteuererhöhung und die damit finanzierten Mutterschaftleistungen, aber auch das Krankengeld, das die Versicherten künftig allein zahlen, nicht im Bundesrat landen. All dies jedoch trifft auf Kritik der Union. Die verlangt deshalb zwar, sie wolle nur über das „Gesamtpaket“ verhandeln – weit kommen wird sie damit nicht.

Auf Seiten der Regierungsparteien ist nunmehr jedenfalls kein Widerstand mehr gegen Ulla Schmidts Reform zu erwarten. Mittwoch trat Schmidt vor die Presse, nachdem ihr GMG im Kabinett abgesegnet worden war. Sie erneuerte das Versprechen, dass auch für die Versicherten der Kassenbeitrag dank des Gesetzes von derzeit rund 14,4 unter 13 Prozent sinken werde, ließ aber ausdrücklich offen, wann dies geschehen werde.

Schließlich hatte sie sich zuvor vom Finanzminister Hans Eichel (SPD) abringen lassen, dass die Tabaksteuer nicht auf einmal um einen Euro pro Schachtel steigen soll, sondern in drei Stufen bis Mitte 2005. Damit jedoch kann sie die gesetzliche Krankenversicherung im kommenden Jahr um weit weniger versicherungsfremde Leistungen erleichtern als zunächst gedacht. Das Erleichterungspaket 2004 insgesamt schrumpft von rund 13 auf etwa 10 Milliarden Euro.

Weitere Bestandteile dieses Pakets fanden problemlos die Zustimmung im Kabinett. Dazu gehören: Brillen für normale Fehlsichtigkeiten gibt’s nur noch für Kinder auf Kassenkosten. Sterbegeld ist abgeschafft, künstliche Befruchtung und Sterilisationen müssen selbst bezahlt werden. Nicht verschreibungspflichtige Arzneien – Hustenlöser, Aspirin und so weiter – sollen Patienten selbst zahlen. Ausnahmen sind für Kinder und auch für homöopathische Mittel geplant. Zuzahlungen zu Pillenpackungen werden für alle erhöht, die sich nicht in bestimmte Behandlungsprogramme eingeschrieben haben. Wer sich keine Überweisung vom Hausarzt besorgen will, muss beim Facharzt 15 Euro Gebühr bezahlen – ausgenommen im Notfall.

Manchen Krankenkassen gehen diese für 2004 geplanten Maßnahmen nicht weit und schnell genug. Der Chef der KKH in Hannover, Ingo Kailuweit, forderte gestern, die Regierung möge „ein Sofortpaket schnüren und einen Ausgabenstopp beschließen“. Auch die AOK meldet fürs erste Quartal dieses Jahres Verluste von 390 Millionen Euro. ULRIKE WINKELMANN

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