Karlsruhe ordnet Hilfe bei Justizpannen an

Verfassungsgericht verbessert Schutz des „rechtlichen Gehörs“. Vierte Plenumsentscheidung in 50 Jahren

FREIBURG taz ■ Die Bürger müssen besser vor Justizpannen geschützt werden. Dies befand jetzt das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung. Die Verfassung biete Rechtschutz nicht nur „durch den Richter“, sondern auch „vor dem Richter“, erklärte gestern das oberste deutsche Gericht. Der Bundestag muss nun bis Ende 2004 fast alle Prozessordnungen nachbessern.

Die Entscheidung war heftig umstritten. Die acht Richter des ersten Senats wollten mehrheitlich eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung, die des zweiten Senats waren mehrheitlich dagegen. Schließlich entschied das Plenum beider Senate mit zehn zu sechs Stimmen für mehr Rechtsschutz. Seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichts ist dies erst die vierte derartige Plenumsentscheidung.

Konkret ging es um den im Grundgesetz gewährten Anspruch auf „rechtliches Gehör“. Wer etwa im Prozess einen Schriftsatz an das Gericht schickt, soll sicher sein, dass dieser dort auch gelesen wird und nicht im Posteingang hängen bleibt. Doch unglückliche Zufälle und Organisationsmängel gibt es immer wieder. Manchmal taucht das Schreiben erst auf, wenn das Urteil schon rechtskräftig ist. Bisher griffen die Gerichte dann auf „außerordentliche“ Rechtsbehelfe zurück, die in keinem Gesetz stehen. Mit dieser Durchwurstelei soll jetzt aber Schluss sein. Zumindest eine Rüge kann es künftig geben.

Beim Deutschen Richterbund sieht man die Entscheidung mit gemischten Gefühlen: „Für die Reparatur von Pannen ist natürlich jeder“, so der Vorsitzende Geert Mackenroth, „aber oft sind Bürger nur mit dem Ausgang des Verfahrens unzufrieden und sagen dann, ‚das Gericht hat sich mit meiner Argumentation gar nicht beschäftigt‘ .“ Der Anstoß aus Karlsruhe könnte Querulanten ermuntern und Verfahren unnötig verlängern, meint er.

Doch vermutlich droht der Justiz keine starke Mehrbelastung. Denn in der Zivilprozessordnung gibt es bereits seit dem Vorjahr eine derartige Pannenhilfe (Paragraf 321a). Sie wurde von den Bürgern in NRW etwa nur in jedem zehntausendsten Verfahren genutzt.

Als letztes Mittel der Bürger bleibt die Verfassungsbeschwerde wegen „Verletzung rechtlichen Gehörs“ möglich. Die Arbeitsbelastung der Verfassungsrichter wird durch ihre jüngste Entscheidung also nur wenig reduziert. CHRISTIAN RATH