„Die Grenzen für Arbeiter öffnen“

Kamal Malhotra über die Forderungen und Chancen der Entwicklungsländer

taz: Herr Malhotra, in Evian wollen die G-8-Länder auch über die neue Welthandelsrunde reden, die 2001 beschlossen wurde. Damals, in Doha, hat die WTO eine „Entwicklungsrunde“ angekündigt. Was müssen die G-8-Länder tun, damit sie das tatsächlich wird?

Kemal Malhotra: Ganz wichtig ist, dass sie bereit sind, ihre Märkte für Arbeitskräfte aus den Entwicklungsländern zu öffnen. Insbesondere beim Handel mit Dienstleistungen müssen sie den befristeten Zuzug von Arbeitnehmern erlauben.

Haben Sie darüber schon mal mit Gewerkschaftern aus den G-8-Staaten gesprochen?

Das würde ich gerne mal! Die Gewerkschaften in den Industrieländern wollen nur eines: ihre Märkte schützen. Wir glauben, dass die Vereinbarungen in der WTO, also in der Welthandelsorganisation, an einem ganz fundamentalen Ungleichgewicht leiden. Es hat bis jetzt viel mehr Fortschritte bei der Liberalisierung der Kapitalströme gegeben – aber fast gar keine Fortschritte bei der Freizügigkeit von Personen. Die einzige Ausnahme sind einige hochausgebildete Computerspezialisten.

Die Gewerkschaften argumentieren aber so: Wenn die EU befristete Arbeitsaufenthalte erlaubt, profitieren in den Entwicklungsländern nur Mittelsmänner oder Firmen, die ihre Angestellten verschicken.

Nein, es sind nicht nur die Firmen, die profitieren, sondern auch die Arbeiter – und damit ein ganzes Netzwerk von Verwandten und Familien. Es kann sogar das ganze Land profitieren, wenn so ein Facharbeiter nach drei Jahren aus Deutschland zurück in sein Land kommt. Er brächte Wissen und Technologie mit.

Welche Branchen interessieren die Entwicklungsländer?

Generell alle Sektoren, in denen man die Dienstleistung nicht ohne die Dienstleister, also ohne die Menschen, die die Arbeit machen, exportieren kann.

Was ist noch wichtig für eine echte Entwicklungsrunde?

Landwirtschaft. Da geht es nicht nur um den Marktzugang für Entwicklungsländer in die EU und in die USA. Da geht es auch um Nahrungsmittelsicherheit: Die Entwicklungsländer wollen sich das Recht vorbehalten, Nahrungsmittel für den Eigengebrauch anzubauen, ohne sofort dem Wettbewerb von außen ausgesetzt zu sein. Wichtig ist auch das so genannte Trips-Abkommen, bei dem es um Patentrechte geht: es muss Entwicklungsländern erlaubt sein, billige Kopien von Medikamenten entweder selbst herzustellen oder billig aus anderen Entwicklungsländern zu importieren.

Pharmakonzerne haben bereits angekündigt, Medikamente an Entwicklungsländer billiger abzugeben.

Die Ankündigung von Glaxo zum Beispiel, künftig in solchen Ländern Medikamente für 90 Cents zu verkaufen, ist hilfreich – aber keine langfristige, nachhaltige Lösung. Und noch eine Forderung für eine Entwicklungsrunde: Keine neuen Themen! Die Agenda ist bereits übervoll.

Werden sich die Entwicklungsländer mit Europa, Japan und den USA einigen?

Erst mal: Es gibt nicht „die Entwicklungsländer“. Deren Positionen sind sehr unterschiedlich: Brasilien zum Beispiel hat klargemacht, dass es keinen Millimeter an Zugeständnissen machen wird, wenn es nicht selbst Zugeständnisse der EU und der USA auf dem Agrarsektor bekommt. Indien hat gefordert, dass das neue Investitionsabkommen („MAI light“, siehe taz vom 2. 5. 2003) von der Agenda runter muss – andernfalls wird Indien die Runde blockieren. Brasilien dagegen könnte bereit sein, ein neues Investitionsabkommen gegen Zugeständnisse im Agrarbereich in Kauf zu nehmen.

INTERVIEW:
KATHARINA KOUFEN