Die Tränen einer Priesterwitwe

Auf dem Kirchentag erlebt: Wer der gefragteste Bischof ist. Was Thierse nicht weiß. Was im Dixiklo geschieht. Wie man Katholiken erkennt

BERLIN taz ■ Wolfgang Huber, der Berliner evangelische Bischof, ist der begehrteste Redner des Kirchentags (12 Auftritte). Auf den Plätzen: Kardinal Karl Lehmann (11), die Bischöfe Gebhard Fürst und Bärbel Wartenberg-Potter (je 9). Bei der Eröffnungsfeier sprach Huber davon, dass man mit dem Kirchentag am Brandenburger Tor wieder das Ende einer Trennung feiere: einst die deutsche Teilung, nun die der Christen. Bei all der Analogie zum Grenzregime der DDR fiel im offiziellen Liederheft ein kleiner Tippfehler auf: Im Gemeindelied „Ich steh vor Dir mit leeren Händen“ hieß der Text (statt „Schließ auf …“): „Schieß auf das Land, das keine Grenzen kennt …“.

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Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident (SPD), sollte bei einem Interview im Zollernhof Fragen aus dem Alltag des kleinen Mannes beantworten. Den Preis für ein Kilo Spargel wusste er noch locker. Dass er die Nummer der Auskunft nicht kennt, entschuldigte Thierse stolz mit dem Luxus einer Sekretärin. Doch als er bei der Schätzung der Höhe des Existenzminimums in Deutschland („500 Euro?“) fast um das Doppelte daneben lag, wurde der Bundestagspräsident rot. Derzeit sind es 283 Euro. Verschämt forderte Thierse eine sofortige Erhöhung.

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Gekicher auf den Dixiklos. Ein großer Glatzkopf stößt sich seinen Kopf an den Füßen, die vom Dach baumeln. Wie der kleine Zöllner Zacharias, der auf einen Baum kletterte, um Jesus zu sehen, sitzt beim Eröffnungsgottesdienst das junge Kirchenvolk auf der 250 Meter langen Toilettenstaffette vorm Brandenburger Tor. Und singt voller Inbrunst: „Wir glauben Gott im höchsten Thron.“

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Elisabeth Spieß, 69, erzählt unter Tränen von ihren zehn Jahren Ehe mit dem 30 Jahre älteren Priester Lorenz Spieß. Mit 22 Jahren verliebte sie sich in den Pfarrer und führte zwei Jahrzehnte eine Geheimpartnerschaft. Nach seiner Pensionierung outete sich ihr Freund, wurde vom Priesteramt dispensiert und heiratete sie. „Das musste geheim stattfinden.“ Die Kirche erlaubte keine Öffentlichkeit für die Trauung. „Und so waren wir zu viert: wir beide, der Pfarrer und der Messner“. Eine Feier gab es nicht. „Wir sind dann heim und haben Johannisbeeren gepflückt.“ Elisabeth Spieß ist heute längst Witwe, ihr Mann starb vor fünfzehn Jahren.

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Für den Hauptstadtsender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), grade frisch fusioniert, soll der Kirchentag nach Aussage der neuen Intendantin Dagmar Reim zur ersten Bewährungsprobe werden. Erster Eindruck: Es gibt noch Verbesserungsspielraum. Beim Eröffnungsgottesdienst hinkten die Bilder auf der Videoleinwand dem Geschehen auf der Bühne um eine Sekunde hinterher: War der letzte Ton einer Predigt schon verklungen, sahen die Zuschauer in den hinteren Reihen die RednerInnen immer noch kräftig die Lippen bewegen. Nach der offiziellen Eröffnung des Treffens fielen erst einmal die Mikrofone aus. Und dann schaltete der Hauptstadtsender einfach ab, während noch das letzte Grußwort gesprochen wurde, ausgerechnet auch noch von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit.

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Ein Drittel der BesucherInnen auf dem Kirchentag sind katholisch, zwei Drittel evangelisch und ein paar Zerquetschte sind nach offiziellen Angaben von anderen Konfessionen oder konfessionslos. Wie man sie im Einheitslook von Birkenstock, Turnschuhen, gelben Schals und Combat-Hosen auseinander halten kann? Zumindest beim Eröffnungsgottesdienst war das kein Problem: Wer bei den Eröffnungsworten „Im Namen des Vaters …“ ein Kreuzzeichen machte, war ein Papist.

NADJA KERSCHKEWICZ, STEFAN LEIFERT,

BERNHARD POETTER