Hamas will die Waffenruhe beenden

Die palästinensischen Islamisten im Gazastreifen fordern die Einbeziehung des Westjordanlandes bei einer Verlängerung der Feuerpause, die heute ausläuft. Israel lehnt das ab. Nun droht eine neuerliche Eskalation

Die Hamas-Fraktionen Exil und Heimat ziehen nicht immer am gleichen Strang

JERUSALEM taz ■ Die zwischen Israel und der Hamas-Führung im Gazastreifen vereinbarte sechsmonatige Waffenruhe wird am heutigen Freitag zu Ende gehen. „Nach Ansicht der Hamas und anderer Fraktionen und auch nach meiner persönlichen Ansicht wird die Thahadiya (temporäre Feuerpause) nicht verlängert werden“, erklärte Hamas-Chef Ismail Hanijeh im Gazastreifen. Er schloss sich damit der Entscheidung von Khaled Maschaal an, dem im syrischen Exil lebende Politbürochef der Bewegung. Israels Premierminister Ehud Olmert hatte zuvor Bereitschaft signalisiert, die Waffenruhe aufrechtzuerhalten. Die israelische Armee bereitet sich nun auf eine erneute Eskalation vor. Am Mittwochmorgen wurden erneut acht Kassam-Raketen auf Israel abgeschossen.

Der Islamische Dschihad übernahm die Verantwortung für den Raketenbeschuss. Am Vortag hatten israelische Soldaten in der Nähe von Jenin einen Kommandanten der Dschihad-Milizen erschossen. Israel hatte vor sechs Monaten der Waffenruhe mit Hamas im Gazastreifen zugestimmt, die militärischen Operationen im Westjordanland jedoch fortgesetzt. Die Führung im Gazastreifen knüpfte nun eine Verlängerung der Waffenruhe an die Bedingung, dass fortan das Westjordanland miteinbezogen wird, was Israel ablehnt.

Mit einer Einigung zwischen Israel und der Hamas, die das Westjordanland umfasst, würde Israel Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in den Rücken fallen. Die israelische Armee und die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) arbeiten seit Monaten Hand in Hand im Kampf gegen die Islamisten, aus Sorge, dass die Hamas auch im Westjordanland gewaltsam die Kontrolle übernehmen könnte. Die Kooperation mit dem Besatzer stößt wiederum zunehmend auf Kritik in der palästinensischen Bevölkerung.

Abbas will im kommenden April Wahlen abhalten. Nach einer Meinungsumfrage, die die Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah Anfang Dezember durchführte, nimmt die Popularität des Palästinenserpräsidenten rapide ab. Abbas würde zwar noch die Wahlen für sich entscheiden, allerdings nur noch mit 10 Prozent Vorsprung vor Ismail Hanijeh, dem Chef der Hamas im Gazastreifen. Vor drei Monaten waren es noch 24 Prozent. Auch die Fatah büßt leicht an Sympathien im Volk ein.

Eine erneute Eskalation im Gazastreifen, Invasionen der israelischen Armee und Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung würde die Palästinenser zusätzlich in die Arme der Hamas treiben. Rund 200.000 Islamisten hatten sich anlässlich des 21. Jahrestags der Hamas-Gründung in Gaza versammelt, um ihre trotz der schweren Lebensumstände ungetrübte Sympathie für die Bewegung zu demonstrieren. Bei der Kundgebung schlüpfte ein junger Schauspieler in die Rolle des seit zweieinhalb Jahren im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit, bettelte um seine Befreiung und darum, Vater und Mutter wiederzusehen. Das bittere Schauspiel wurde von der Menge mit Begeisterung aufgenommen.

Ismail Hanijeh ging in seiner Rede vor der Menge auf die Waffenruhe ein, die „nach einer von der Hamas unternommenen Analyse den negativen Eindruck entstehen ließ, dass die Besatzung ihren Verpflichtungen nicht nachkommt“. Die Führung im Gazastreifen schloss sich deshalb der Meinung der Exil-Hamas an, dass es keinen Sinn mache, die Tahadiya fortzusetzen.

Die beiden Hamas-Fraktionen Exil und Heimat ziehen nicht immer am gleichen Strang. Ausgerechnet der als „Hardliner“ geltende Politbürochef Maschaal kritisierte vor kurzem die kompromisslose Haltung Hanijehs im Versöhnungsprozess mit der Fatah. Die Führung im Gazastreifen hatte die Bedingung gestellt, die Präsidentschaftsperiode von Abbas im Januar zu beenden sowie alle Hamas-Häftlinge im Westjordanland zu entlassen. Die harte Haltung Hanijehs ließ die für Anfang November angesetzten Gespräche mit der Fatah platzen. Dem Briefwechsel zufolge warnte die Exilführung davor, das Westjordanland zu „verlieren“.

Bei den drohenden neuen gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Israel hingegen kann Hanijeh auf Rückendeckung der Exil-Hamas bauen. Maschaal verfolgte von jeher eine eher kompromisslose Haltung gegenüber den Besatzern. Nach Ansicht des israelischen Transportministers Schaul Mofas, ehemals Stabschef, hätte sich Israel nicht auf eine Waffenruhe einlassen sollen, bevor Schalit ausgetauscht wird. Die mit Hilfe ägyptischer Vermittler geführten Verhandlungen waren immer wieder ins Stocken geraten. Die Hamas fordert die Entlassung von rund 1.000 Häftlingen, darunter an Attentaten Beteiligte.

In Israel verstärkt sich der Eindruck, dass die Hamas nicht an einem Geiselgeschäft interessiert ist, sondern Schalit als Garantie behalten will. Solange sich der Israeli in ihrer Hand befindet, wird es kaum zu einer militärischen Großoffensive kommen. Vor allem Verteidigungsminister Ehud Barak lehnt Invasionen vorläufig ab. „Sollte die Ruhe gestört werden, wird Israel angemessen reagieren“, kommentierte er diese Woche zurückhaltend, während Außenministerin Zipi Livni erklärte, dass „wir Gaza nicht der Hamas überlassen werden“. Wahrscheinlich ist, dass Israel, sollte die Hamas den Raketenbeschuss intensivieren, die Strategie der punktuellen Operationen und der präventiven Hinrichtungen wiederaufnimmt. SUSANNE KNAUL