Die Gesundheitsreform bringt‘s nicht

100-Tage-Bilanz von Gesundheitsministerin Schmidt zeigt, dass trotz aller Belastungen der Kranken der Kassenbeitrag kaum unter 14 Prozent zu drücken ist. Der Verdacht: Die Großkassen könnten die Beiträge senken, halten es aber nicht mehr für nötig

Der Druck, über niedrige Sätze um Mitglieder zu konkurrieren, lässt nach

AUS BERLINULRIKE WINKELMANN

Der durchschnittliche Beitragssatz der Krankenkassen liegt im April bei 14,2 Prozent. Seit Jahresbeginn ist er damit um etwas mehr als 0,1 Prozentpunkt gesunken. Diese 100-Tage-Bilanz der Gesundheitsreform will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zwar als Erfolg verkaufen. Gemessen an den eigenen Ansprüchen kommt das Zehntelprozentpünktchen für die Ministerin jedoch einer Hiobsbotschaft gleich: Trotz der beträchtlichen Belastungen der Versicherten bzw. Wähler durch Praxisgebühr und Zuzahlungen entsteht für sie fast keine Entlastung. Nur gut jeder Dritte gesetzlich Versicherte profitiert nach Schmidts Berechnungen von Beitragssenkungen. Dagegen dürften Patienten angesichts von Leistungskürzungen, Zuzahlungen und einem Rückgang von Arztbesuchen bereits Milliardenbeträge zur Entlastung der Kassen erbracht haben. Auch für die Arbeitgeber scheint sich nun keine Entlastung einzustellen. Die Wirtschaft sollte ja gerade in der Logik „Sinkende Lohnnebenkosten gleich mehr Arbeitsplätze“ befriedigt werden. Doch wieder wird es unwahrscheinlicher, dass der Durchschnitts-Kassenbeitrag übers laufende Jahr gerechnet tatsächlich unter 14 Prozent liegen wird – obwohl Schmidt am Sonntag wohlgemut verkündete, man werde „deutlich unter 14 Prozent“ landen.

Der Ulla-Schmidt-Berater und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach forderte die teuren Kassen wie Barmer, AOK und DAK deshalb gestern auf, „alles zu tun, um die Beitragssätze zu senken“. Gerade die Großkassen müssten die Sätze eigentlich stärker senken können, weil sie schließlich am meisten von der Gesundheitsreform profitierten: Die Reform belastet Kranke, und Kassen mit vielen kranken Mitgliedern werden entsprechend entlastet.

Als Grund dafür, warum die Großkassen diese Entlastung nicht an die Versicherten weitergeben, vermutet Lauterbach nicht etwa nur sinkende Einnahmen. Ironischerweise sei es ein weiteres Detail der Reform selbst, das die Großkassen zur Trägheit verleite: Sie verlieren seit Beginn des Jahres nicht mehr so viele Mitglieder. Denn sie dürfen ihre Klientel neuerdings mit Zusatzversicherungen an sich binden.

AOK und Co überhäufen ihre Mitglieder mit Angeboten, Augen, Zähne oder die Heilpraktikerbehandlung extra zu versichern. Diese Angebote werden angenommen und erhalten so den Kassen die Mitglieder, die sonst vielleicht zur günstigeren Konkurrenz oder sogar zu den Privatversicherern abgewandert wären. Der Druck, über niedrigere Sätze um wechselwillige – meist junge und gesunde – Mitglieder zu konkurrieren, lässt nach, und so bleiben die hohen Sätze, wo sie nach Meinung Ulla Schmidts und Lauterbachs nicht sein sollten: über der magischen 14-Prozent-Marke.

Tatsächlich verweist zum Beispiel die Barmer Ersatzkasse stolz darauf, dass im ersten Quartal 2004 rund 60 Prozent weniger Mitglieder abgewandert sind als im ersten Quartal 2003. Und dies führt Barmer-Sprecherin Susanne Uhrig auch auf die Zusatzversicherungen zurück: Es sei „großartig“, dass die Barmer-Kundschaft die Angebote annähmen. „Aber daraus zu schließen, dass wir deshalb den Beitrag nicht senken, ist ein Denkfehler“, sagt Uhrig. „Im Gegenteil erhalten uns die Zusatzangebote doch gerade die jungen und gesunden Mitglieder.“ Ohne diese wäre der Beitrag noch höher.

Es sieht so aus, als würde der Wettbewerb um junge, gesunde Mitglieder wieder einmal einen Versuch, das Gesundheitssystem stabilisieren, ruinieren. Um das abzustellen, sagt Lauterbach, gebe es mittelfristig nur eine Lösung: „einen fairen Finanzausgleich zwischen den Kassen“.