Mörderische Nacht

In Madrid töten vier Islamisten sich und einen Polizisten. Das Wohnhaus wurde zuvor evakuiert

AUS MADRID REINER WANDLER

„Allah u Akbar!“ Das war die Antwort auf die Aufforderung der spanischen Polizei, sich zu ergeben. Dann, es war Samstagabend 21.03 Uhr, explodierte der Sprengsatz. Vier Terroristen und ein Beamter des Sondereinsatzkommandos GEO starben, zwölf weitere wurden verletzt. Drei von ihnen schweben noch in Lebensgefahr.

Die Fassade des Wohnhauses in der Carmen-Martín-Gaite-Straße im südlich von Madrid gelegenen Arbeitervorort Leganés stürzte herab. Der Boden der Wohnung im ersten Stock gab nach, die Decke brach ein. „Wir werden euch in den Tod mitnehmen“, hatten die Eingeschlossenen noch kurz zuvor ihren Verfolgern durch die Tür zugebrüllt. Bei den Aufräumarbeiten fanden die Ermittler vier Leichen. Zwei weitere Terroristen sind laut spanischem Innenministerium entkommen.

Noch sind die Toten nicht alle identifiziert. Doch bestätigte der amtierende spanische Außenminister Ángel Acebes gestern Mittag, dass sich unter den Toten der Tunesier Serhane Ben Abdelmajid Farkhet befindet. Er gilt als Anführer des Kommandos, das die Anschläge vom 11. März auf die Pendlerzüge in Madrid vorbereitet hat. „Der Kern der Gruppe, die die Anschläge verübt hat, ist damit entweder verhaftet oder tot“, sagte Acebes vor der Presse. Bei der Bombenserie vor dreieinhalb Wochen kamen 191 Menschen ums Leben, über 1.500 wurden verletzt.

Die Polizeiaktion, die um 21.03 Uhr mit der Explosion ihr tragisches Ende nahm, hatte drei Stunden zuvor begonnen. Zivilbeamte hatten in Zarzaquemada, einem Stadtteil von Leganés, drei arabisch aussehende Männer auf der Straße gestellt. Diese flohen und verschanzten sich in einer Wohnung in der Carmen-Martín-Gaite-Straße 40. Vom ersten Stock aus eröffneten sie das Feuer auf die Beamten.

Schnell eilten Sondereinsatzkommandos als Verstärkung herbei. Die Polizei räumte die Wohnungen in dem Gebäude sowie die umliegenden Blocks und den nahe gelegenen Nahverkehrsbahnhof. Rettungskräfte errichteten in aller Eile ein Feldlazarett, die Feuerwehr stand bereit. Während zwei Hubschrauber mit Scheinwerfern die Szenerie ausleuchteten, unterbrachen alle wichtigen Fernsehsender des Landes ihre Programme, um die Bevölkerung von Zarzaquemada aufzufordern, nicht auf die Straße zu gehen und die Rollläden zu schließen.

Die vorrückenden Sondereinheiten hörten aus dem Innern der Wohnung gesungene Koransuren. Als sich die Beamten direkt vor der Wohnungstür befanden, kam die Explosion. Einer der Terroristen hatte vermutlich einen Gürtel mit Sprengstoff umgelegt, die anderen umringten ihn.

16 Familien verloren durch die Explosion ihre Wohnung. Das Gebäude muss aller Voraussicht nach abgerissen werden. Die Betroffen sind vorübergehend in Hotels untergebracht.

„Die polizeilichen Ermittlungen haben uns zur fraglichen Wohnung geführt“, erklärte Innenminister Ángel Acebes Samstagnacht im Fernsehen. Vermutlich waren es wieder einmal einige der 100 Prepaid-Handykarten, die das Kommando vor den Anschlägen vom 11. März gekauft hatte und die jetzt zum Versteck der Terroristen geführt hatten.

Die Attentäter hatten die Wohnung in dem Neubauviertel des Vororts Zarzaquemada vor zwei Wochen angemietet. Sie diente wohl denen als Unterschlupf, die sich bis dahin in einem Landhaus südöstlich von Madrid versteckt gehalten hatten. In diesem Haus befand sich auch die Bombenwerkstatt für den „11-M“, wie der schwerste Anschlag, den es in Europa bisher gab, von den Spaniern genannt wird.

Von Zarzaquemada aus startete die Truppe vermutlich auch ihre letzte Terrorexpedition. Am Freitagmorgen deponierten sie einen zwölf Kilo schweren Sprengsatz an der Hochgeschwindigkeitsstrecke Madrid–Sevilla. Die Bombe wurde zum Glück rechtzeitig entdeckt und entschärft.

Die spanischen Ermittler sehen in den Vorfällen vom Samstag eine neue Qualität radikalislamistischer Aktivitäten in Europa. Erstmals haben sich Terroristen selbst in die Luft gesprengt. Das könnte die Schläferzellen – in Spanien sollen sie über bis zu dreihundert Mann verfügen – weiter radikalisieren. Gestern hielt sich den ganzen Tag das Gerücht, einem Terroristen sei die Flucht gelungen, bevor das Gebiet rund um das Wohnhaus von der Polizei hermetisch abgeriegelt wurde. Er sei möglicherweise mit einem Pkw mit weiterem Dynamit unterwegs.