Alles für die Chance

In Sportarten, in denen ein geringes Körpergewicht einen positiven Einfluss auf die Leistung hat, entwickeln viele Athleten eine Essstörung. Betroffen sind vor allem Sportlerinnen und Sportler in ästhetischen Sportarten wie Turnen und Eiskunstlaufen sowie in Disziplinen, in denen Gewichtsklassen eine Rolle spielen: Judo, Ringen, Taekwondo. Wer hier vor dem Wettkampf „Gewicht macht“, also ein paar Kilo herunterhungert, der kann in einer niedrigeren Gewichtsklasse starten, in der die Siegchancen größer sind. Auch Skispringer und Ausdauerathleten gehören zur Risikogruppe: Leichte Männer fliegen weiter, weniger Körperfett verspricht eine bessere Ausdauer.

In den besagten Sportarten sind zwischen zwanzig und vierzig Prozent der Athleten von Essstörungen betroffen. In der Gesamtbevölkerung ist der Anteil derjenigen, die unter gestörtem Essverhalten leiden, weitaus geringer, wenn auch ansteigend: Etwa zwei Prozent sind von einer Anorexia Nervosa, der Magersucht, betroffen, rund vier Prozent von einer Bulimia nervosa, der Ess-Brech-Sucht.

Ist eine Magersucht chronisch geworden, können nur rund 35 Prozent der Betroffenen die Krankheit überwinden, die Sterblichkeitsrate liegt bei knapp 15 Prozent. Die Risikogruppe bilden Frauen zwischen 15 und 35 Jahren, Männer sind jedoch zunehmend gefährdet.

Neben gesundheitlichen Beschwerden leiden Magersüchtige in der Regel unter der Körperschemastörung: Auch wenn sie extrem untergewichtig sind, empfinden sie sich immer noch als zu dick. Sie sind in der Lage, andere Menschen richtig einzuschätzen, ihr eigenes Körperbild hingegen ist völlig verzerrt.

Eine Untersuchung der Deutschen Sporthochschule Köln an Hobbysportlerinnen hat kürzlich ergeben, dass 25 Prozent der Befragten ein gezügeltes Essverhalten an den Tag legen – die erkennbar Essgestörten waren aus der Befragung von vornherein bereits ausgeschlossen. Genaue Zahlen sind jedoch schwer ermittelbar, die Dunkelziffer der von anormalen Essgewohnheiten geplagten Athleten ist hoch, die Dunkelziffer bei betroffenen Männern vermutlich noch höher.

Über Magersucht bei Leistungssportlern wird selten offen gesprochen. Etwa zeitgleich mit den Spekulationen der Medien über einen möglicherweise magersüchtigen Sven Hannawald vor drei Jahren outete sich zum ersten Mal ein Skispringer: Der Schweizer Stefan Zünd, viermaliger Weltcup-Sieger, bekannte sich auf einer sportwissenschaftlichen Tagung zu exzessivem Nahrungsverzicht, damit er leichter weiter fliegen kann.

Teilweise, so Zünd, habe er tagelang nur Mineralwasser zu sich genommen. Im Dezember 1992 erlitt er einen physischen und psychischen Zusammenbruch. Heute möchte er sich nicht mehr zu dem Problem äußern, er habe genug vom Medienrummel, der nach seinen Bekenntnissen einsetzte. Er erklärte auf unsere Anfrage, dass er eigentlich bloß eine Warnung für junge Sportler aussprechen wollte.

Am Olympiastützpunkt in Dortmund arbeitet ein multidisziplinäres Team mit LeistungssportlerInnen zusammen. Ziel ist es, Betroffenen frühzeitig zu helfen und zu verhindern, dass die Essstörung chronisch wird. Informationen unter www.osp-westfalen.de/angebot/sportpsycho/sportpsycho .htm, www.sportpsychologie .com sowie www.magersucht-online.de/leistungssport.htm. JH