Krank durch Krankenkasse

Schon wieder BKK-Hamburg: Krankenkassen-Sachbearbeiterin wollte eigenständig Therapie anordnen, die der behandelnde Facharzt als falsch verwirft. Andernfalls droht Streichung des Krankengeldes. Medizinischer Dienst sollte umgangen werden

„Das ist reine Willkür und eine völlig unzulässige Vorgehensweise“

von KAI VON APPEN

Für ihre dubiosen Methoden und Praktiken ist sie bekannt: Die Betriebskrankenkasse der Freien und Hansestadt (BKK Hamburg). Nun kommt eine weitere Variante hinzu: Die ärztliche Diagnose und Therapievorgabe für eine Versicherte durch eine BKK-Sachbearbeiterin. Wenn die Patientin dem nicht folge, müsse sie, so wird angedeutet, gar mit der Streichung des Krankengeldes rechnen. Für den Hamburger Chirurgen Michael Kerneck, der eine ganz andere Maßnahme medizinisch für notwendig hält als die Krankenkasse, „ist dies unter Druck setzen von Patienten eine reine Willkürmaßnahme und eine völlig unzulässige Vorgehensweise“.

Frauke V. (Name ist der Redaktion bekannt) leidet seit Ende vorigen Jahres an einem Rückenleiden und ist seit Anfang des Jahres arbeitsunfähig. Da es sich um eine seltene komplizierte Entzündung der Bandscheibe handelt, war die Diagnostik anfangs schwer. Erst eine Kernspintomographie brachte den wahren Grund der Rückenschmerzen ans Licht.

Obwohl Kerneck strikte Bettruhe und Antibiotika verordnete, wurde Frauke V. auf Druck der BKK ins Rückenzentrum am Michel zitiert, eine Einrichtung, die für die BKK-Versicherten vertraglich Rückentherapien durchführt. „Die Untersuchung brachte keine gesundheitstaugliche Diagnose“, sagt Kerneck.

Dennoch verlangte die BKK-Sachbearbeiterin, dass Frauke V. im Rückenzentrum eine Reha-Maßnahme beginnt. „Das ist genau das Falsche, was getan werden kann“, schimpft Kerneck. Falls der Arzt seine medizinischen Einwände dagegen aber nicht fallen lasse, solle er eine genaue „medizinische Begründung“ dafür abgeben, forderte die BKK. Das ist für Kerneck eine unzulässige Vorgehensweise, ein Eingriff in den Datenschutz und in die ärztliche Schweigepflicht. Selbst für die verordnete Taxifahrt in die Rückenklinik verlangte die Sachbearbeiterin eine „medizinische Begründung“ von dem Mediziner, da laut BKK nach Aussage der Reha-Ärzte angeblich „kein Hinderungsgrund für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erkennbar gewesen“ sei. „Wenn es Vorbehalte gegen ärztliche Anordnungen gibt, muss die Kasse den Medizinischen Dienst einschalten“, sagt Kerneck. „Das zu prüfen, ist nicht die Aufgabe einer inkompetenten BKK-Sachbearbeiterin.“

Das bestätigt im Prinzip auch der Geschäftsführer vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, Jörg Sträter: „Ich kann zum konkreten Fall zwar so nichts sagen“, sagt Sträter der taz hamburg, „aber im Normalfall sind wir dafür zuständig.“

Auf Anfrage findet die BKK an ihrem Vorgehen zunächst nichts verwerfliches. „Das ist gängige Praxis bei uns“, sagt Sprecher Thorsten Nowak. „Das Rückenzentrum ist eine anerkannte Institution und eine gute Sache für unsere Mitglieder.“ Wenn alle Krankenkassen sofort den Medizinischen Dienst einschalten würden, wäre dieser völlig überlastet. Aber da selbst die MedizinerInnen des Rückenzentrums mittlerweile erkannt haben, dass sie aufgrund der Diagnose die falsche Institution zur Behandlung seien, rudert die BKK zurück. „Es war ein bisschen vorschnell“, sagt Nowak nun, „der Medizinische Dienst hätte eingeschaltet werden müssen. Die Sache ist aber mittlerweile vom Tisch. Auch die Taxi-Rechnung ist überwiesen.“

Für Frauke V. war die Situation der vergangenen Wochen nicht gerade gesundheitsfördernd, „wenn die Sachbearbeiterin einen mit unangenehmen Telefonaten bombardiert und Theater und Stress macht“, sagt die Versicherte. „Sie glaubt mir als Patientin nicht, und sie glaubt nicht einmal meinen Arzt. Wenn es nach ihrem Willen geht, brauchen wir keine Ärzte mehr, sondern können gleich zur Krankenkasse gehen.“ Frauke V. denkt nun nur an eines: „Ich will ungestört und schnell gesund werden. Meinen letzten Job hab ich schließlich schon wegen meiner Erkrankung verloren.“