besucher des tages – heute: bäuerin gertraud lehmeier aus wilfertshofen
: Meditativer Tanz und Kühemelken

Für Gertraud Lehmeier beginnt der Kirchentag mit liturgischem Tanz in der Küche. Es ist morgens um fünf, und hinter ihr liegt eine Nachtfahrt von Bayern nach Berlin. In der Küche von Gastgeber Hartmut wiegt sie Hand in Hand mit zwei Freundinnen Carolina und Rosemarie im Takt zu „Weißt du nicht, weißt du nicht, du bist ein Te-hem-pel, voller Kraft und Licht und Herrlichkeit“.

Normalerweise melkt Gertraud Lehmeier um diese Zeit Kühe. Die Bäuerin aus Wilfertshofen in der Oberpfalz bewirtschaftet mit ihren drei Kindern 90 Rindviecher und 60 Hektar Mais- und Getreidefelder. Mit 500 Litern Milch pro Tag bestreitet sie ihr Einkommen.

Gertraud Lehmeier mag geistliche Musik. Wenn sie melkt, beschallt sie auch die Kühe mit sphärischen Meditationen. „Das beruhigt die Tiere.“ Sohn Markus steht eher auf Punk. Wenn er Stalldienst hat, würden die Kühe ganz aggressiv vom Pogen. Der 20-Jährige soll den Hof mal übernehmen. Michael, der sechs Jahre ältere Erstgeborene, scheidet aus: „Der hat Heuschnupfen.“

Bei Regen hätte Getraud Lehmeier den Kirchentag abblasen müssen. Die Silage musste noch fertig werden, und das geht nur bei Sonne. „Silage ist der Grasbrei, den die Kühe im Winter fressen.“ Eigentlich war ein Unwetter angesagt über Bayern. Daraus wurde nichts, „denn Jesus hat gewollt, dass ich fahre“.

Nicht erst seit ihr Mann Hans Lehmeier vor sechs Jahren an Herzversagen starb, ist Glaube „die Quelle“, aus der die 51-Jährige schöpft. Zwei Mal im Jahr zieht sie sich zu Exerzitien zurück, geht alle zwei Wochen zur Meditation ins Kloster, einmal im Monat zum Bibelkreis und jeden Mittwoch zum Chor.

Theologische Debatten sind ihr zu hoch. „Ich bin ein sehr einfacher Mensch.“ „Quatsch, Gertraud kann mit jedem Professor mithalten, so viel wie die liest“, meint Carolina. Jedenfalls steht Startheologe Karl Rahner bei der Bäuerin im Regal. „Als Katholikin fühle ich mich aber nicht so. Ich bin Christin.“

Um auf den Kirchentag fahren zu können, hat Gertraud Lehmeier bis zur letzten Minute vorgearbeitet. Und ihr Testament hervorgeholt. „Man weiß ja nie.“ Seit sie mit ihren Kindern allein ist, sei jede lange Fahrt mit dem Auto ein Existenzrisiko. Denn noch könnten die Kinder den Hof nicht ohne sie schmeißen.

Aber ihr erster Kirchentag war Gertraud Lehmeier das Risiko wert. Sie will „mit ganz vielen anderen Menschen Jesus feiern. Singen, lobpreisen und tanzen“. So wie in Hartmuts Küche. Morgens um fünf. STEFAN LEIFERT