Die Rückkehr der Medienritter

Die Realität ist bitter, es lebe der Ersatz. Mit Ersatzradio und Ersatzstadt wird Berlin eine Woche lang Ort der Gegenöffentlichkeit. Schwerpunkt ist die „Kontrolle des Raumes“

„Ersatz“ ist eines jener Wörter, die meist nur im Zusammenhang mit einem andern Sinn haben. Aber auch dann ist man aus den Feinheiten der Semantik nicht raus. Zahnersatz“ zum Beispiel ist etwas abstrakter als ein ganz konkreter Ersatzzahn. Manches schließlich lässt sich nicht einmal ersetzen. Oder hat schon mal jemand aus einer Ersatzbank einen Bankersatz gemacht?

Das Spiel mit der Wirklichkeit und ihren Surrogaten ist in, nicht erst seit Matrix Reloaded. Vor allem unter Stadtplanern und Architekten dreht sich die Debatte seit der zunehmenden (und mittlerweile fast abgeschlossenen) Privatisierung des öffentlichen Raums um Begriffe wie „urbane Inszenierung“ oder die „Sim(ulation)-City“. Die Schaffung eines Ersatzraumes ist dabei immer beides: kommerzielles Projekt und Instrument der Kontrolle. In den Potsdamer Platz Arkaden bewegt man sich eben anders als in der Bergmannstraße.

Ab morgen wird der Spieß allerdings umgedreht. „Ersatz“ ist nicht mehr länger Instrument zur Kontrolle des (urbanen, informationellen, politischen) Raums. Es ist, in den Händen von Informationspiraten, ein Mittel zur Gegenpropaganda im Äther. Wer von Sonntag bis zum 7. Juni täglich 24 Stunden lang Ersatzradio hört, wird gefüttert mit Neuigkeiten aus kontrolliert unkontrolliertem Anbau.

Ersatzradio ist Teil des Projektes Ersatzstadt, das die Volksbühne in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung des Bundes initiiert hat. Ein anderer Teil ist der Kiosk für nützliches Wissen, ein konkreter, wenngleich temporärer Raum, der mit dem Ersatzradio allerdings aufs engste verbunden ist. Was im Kiosk, der gleichzeitig Bar, mobile Forschungseinheit, Kino und Archiv ist, über den Tresen geht, wird live im Ersatzradio übertragen. So schafft man sich Öffentlichkeit und damit Kontrolle über den Raum.

Was Ersatzradio und Ersatzstadt von vielen Medienprojekten dieser Art unterscheidet, ist die ausdrückliche Anwesenheit von Inhalt. Und der hat es in sich. Allein in den sechs Dialogen, die Montag bis Samstag im Kiosk stattfinden und im Radio nicht nur übertragen, sondern auch kommentiert werden, geht es um einige Aspekte von „Raumkontrolle“, die in der Berliner Debatte so bislang kaum präsent waren. Jeff Halper zum Beispiel, ehemals Professor für humane Anthropologie an der Ben-Gurion-Universität in Jerusalem, stellt seine „Matrix of Control“ vor. Darin analysiert er, wie sich die israelischen Besatzungsbehörden der Mittel von Stadt- und Straßenplanung bedienen, um ein vollständiges System der Raumkontrolle über das Westjordanland zu errichten.

Zum Thema Israel und Palästina wird auch Sharon Rotbard interviewt. In seinen Arbeiten über die israelische Siedlungspolitik widerlegt der Architekturtheoretiker, der unter anderem bei Paul Virilio studiert hat, die in Israel gängige Auffassung, wonach die israelische Architektur vor allem in der Tradition des Bauhauses steht. Ins gleiche Horn stößt auch der Architekt Eyal Weizman, der letztes Jahr mit seinem Ausstellungsprojekt „A Civilian Occupation – The Politics of Israeli Architecture“ den israelischen Beitrag zum Weltkongress der Architekten in Berlin leisten sollte. Diese Entscheidung des israelischen Architektenverbandes wurde aus politischen Gründen allerdings wieder zurückgenommen. Ergänzt wird das Thema Israel/Palästina mit Beiträgen von Lindsay Brenner über die Postapartheidarchitektur in Südafrika oder von David Campbell, der anhand des Bosnienkrieges den Zusammenhang von Nationalstaat, Identitätspolitik und ethnischen Säuberungen untersucht hat.

Folgt nach den Dekaden der Gegenöffentlichkeit und dem Imperium, das zurückschlug, nun also die Rückkehr der Medienritter? Zumindest was das beteiligte Personal angeht, könnte man meinen, ja. Bei den Formaten von Ersatzradio trifft man nicht nur Jürgen Kuttner wieder, sondern auch Gert Lovink, der bei der Documenta X den Hybrid Work Space initiierte, oder Dorothee Wenner, die mit ihren Dokumentarfilmen über Jahre hinweg eine Gegenöffentlichkeit zum Berliner Metropolenwahn geschaffen hat. Doch ganz so ohne Talk und Zeitgeist kommt auch ein Ersatzradio nicht aus, wie die tätige Mithilfe von Lilo Wanders beweist.

So folgt also nach dem Kirchentag gleich der zweite mediale Großangriff auf unsere Wahrnehmung. Nach Opium fürs Volk und Ersatzstadtradio hat man dann allerdings eine Pause verdient – und sei es beim Proseccoersatz in den Potsdamer Platz Arkaden. UWE RADA

Ersatzradio sendet am 1. Juni live vom G-8-Gipfel in Evian und dann bis 7. Juni auf 104,1 UKW. www.ersatzmedia.info