„Etwas aufbauen, nicht zerstören“

taz-Serie „Auf Schröders Agenda“ (Teil 4): René Skambraks, 43, Zimmermann, Polier, arbeitslos. Bei den Bewerbungsgesprächen ist der Ostberliner immer einer von vielen. Der Vater dreier Kinder überlegt jetzt, ins Ausland zu gehen. Mit der Agenda 2010 „gibt die SPD ihre linken Ideale auf“, sagt er

von WALTRAUD SCHWAB

Gebürtiger Köpenicker ist er. Einer mit originärer Ostbiografie: „Thälmann-Pionier, FDJler, Armee. Normaler Werdegang eben“, sagt er. „Zwischendurch die Lehre als Zimmermann beim VEB Denkmalpflege.“ Die Marienkirche in Prenzlau hat er mit restauriert. Bei der Sanierung des Nikolaiviertels war er dabei. Auch bei der des Bürgerhauses aus dem 17. Jahrhundert in der Grünstraße. Arbeit, auf die er stolz ist. Auf die man in der DDR stolz war. „Etwas aufbauen, nicht zerstören“, sagt er, denn René Skambraks ist Handwerker mit Leib und Seele. Wenn er in abgebrochenen Sätzen vom Berufsethos, von der Wander- und Zunftbewegung der Zimmerleute spricht, vom „großen schwarzen Hut, der Weste aus Manchestercord“, die bei dem heutigen Pankower nun unbenutzt im Schrank hängen, vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart. Wanderschaft gab es nicht in der DDR, aber die älteren Kollegen schwärmten davon. „Wenn Richtfeste sind, ziehe ich meine Traditionssachen an“, sagt der 43-Jährige. Zum letzten Mal war das 2001.

Davor jedoch war erst mal die Wende. Die hat all das, worauf Skambraks stolz war, nicht zunichte gemacht. Er findet Arbeit bei einem Westberliner Baubetrieb. Er findet Kollegen, die ihn fördern, die die fundierte Ausbildung, die der Ostler hat, respektieren. Vor allem findet er Dieter Horch, Westberliner, Gewerkschafter, Mann mit Gemeinsinn. „Du hast das Zeug zur Führungskraft. Du wirst Polier“, hat er gesagt. Polier – lateinisch von „vorsprechen“, erläutert Skambraks. Eine IHK-Ausbildung. Er macht sie, besteht. Eine paar Jahre arbeitet er noch mit Horch zusammen, bevor er eigene Baustellen anvertraut bekommt mit 30 Mitarbeitern und mehr.

Damals boomte die Branche. „Viele Nationen, viele Türken waren auf dem Bau. Das war für mich als Ostdeutschen neu. Ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht. Die Leute waren hoch qualifiert. Heute sind die meisten auch arbeitslos“, erzählt Skambraks. „Damals aber hatte jeder auf dem Bau seine Aufgabe. Betonarbeiter, Zimmerer, Einschaler, Flechtarbeiter – ein Geben und Nehmen war da, egal wower her kam.“ Rassismus auf der Baustelle habe er nicht kennen gelernt. Er wäre eingeschritten, meint er. „Für mich ’ne glückliche Zeit. Ich hab gedacht: Individualität und Fleiß werden doch respektiert. Der raue Ellbogenkapitalismus, der ist nicht so, wie wir es in der Schule gelernt haben.“ Allein das heute jemand erzählen zu können tue ihm gut, sagt er und trinkt einen Kaffee nach dem anderen. Dabei sitzt er verloren am Tisch in seinem Anzug und der gestreiften Krawatte. Tatsächlich kommt er gerade von einem Bewerbungsgespräch. Wie war’s? „Ich will mal sagen, ich war einer von vielen.“

Dass die ganze Branche in Berlin auf Sand, auf Spekulation baut, bekommen die Bauarbeiter ab Mitte der 90er-Jahre zu spüren. Nachdem die rechtlichen Grundlagen für das Subunternehmertum von der Regierung abgesegnet sind, ist nicht länger die Fachkompetenz des Poliers gefordert, statt dessen gilt: „Wo finde ich Fehler bei den Subunternehmern, um Geld zu kürzen?“ Bei jedem Projekt wird Skambraks vorgegeben, mit wie viel Mark er unter die Bausumme kommen muss. „Anstatt Kollegialität wird die Aufsehermentalität eingeführt.“ Für den Polier beginnen die Schwierigkeiten.

Der dreifache Vater zieht einen Ausdruck der Agenda 2010 aus der Tasche und sucht die Passage, die den Meisterbrief in vielen Branchen abschaffen will. „Wo bleibt da die Verantwortung für die nachfolgende Generation?“, fragt er. Nicht nur die Fachkompetenz gehe verloren, sondern auch die Vermittlung sozialer Fähigkeiten. „Die Jugendlichen, die haben doch keine Chance mehr“, sagt Skambraks. Im Baugewerbe müsse niemand mehr einen Meisterbrief vorlegen. Subunternehmen sowieso nicht. Deshalb sei auf den Baustellen zunehmend das Fachpersonal abhanden gekommen. Statt dessen war der Polier plötzlich mit ganzen Familienclans konfrontiert aus Albanien, Anatolien, Mazedonien. Egal ob Kenntnisse da waren, Hauptsache, die Löhne konnten gedrückt werden. „Die Leute hatten ihre ganz eigenen innerfamiliäre Hierarchien und Formen von Zusammenhalt untereinander.“ Skambraks erzählt von Sprachkonflikten und solchen, die entstehen, wenn er dem Familienoberhaupt niedere Arbeiten zugewiesen hat.

Seine letzte Baustelle: Prager Platz. Altersgerechtes Wohnen. 80 Millionen Euro Bauvolumen. Der Träger geht Pleite. Die Firma wird aufgelöst, die Leute werden entlassen. Im Dezember 2001 war das. Da hat ihn der Kapitalismus, wie er in den DDR-Lehrbüchern stand, doch eingeholt. Mit Überstunden konnte ein Bauarbeiter früher um die 6.000 Mark machen. Plötzlich werden ihm Jobs angeboten für ein Drittel des Geldes. „Es ist, als hätte jemand die Knöpfe von meiner schwarzen Zimmermannsweste gerissen“, meint der Polier.

Skrambraks gelingt es, eine Weiterbildung vom Arbeitsamt bewilligt zu bekommen als Bauleiter für die Bauwerkssanierung. Seit kurzem ist sie beendet. Einen Job hat er noch nicht gefunden. „Ich mache mir Gedanken um die Zukunft. Wir haben ja alle eine Topbildung. Aber wir werden nicht gebraucht.“ Wieder zieht er den Ausdruck der Agenda 2010 aus der Tasche. Die lese sich so, als seien die Arbeitnehmer an der ganzen Misere schuld. „Demokratie darf nur noch genießen, wer Geld hat“, sagt er. „Die SPD gibt die linken Ideale auf. Da werde ich das Gefühl nicht los, dass sie nur noch Alibipartei für eine Scheindemokratie ist.“ Was bleibe denn von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wenn Brüderlichkeit, der Solidaritätsgedanke, aufgegeben werde?, fragt er.

Das, was Skambraks weiß und kann, das will er weitergeben. Dafür will er geachtet werden. Tradierung. Verantwortung, Verantwortungsbewusstsein – das mache eine Gesellschaft zu einer Gesellschaft. Ihm aber bleiben nur „die utopischen Sozialisten und als letzte Instanz die Bewerbung ins Ausland“. Irland, Skandinavien, da lägen Angebote beim Arbeitsamt vor. „Wenn man immer weiter runterkommt, immer weiter abgestempelt wird als einer, der nicht so innovotiv ist, dann muss man halt gehen.“