Schulfach Quälerei

„Ich werde nicht mehr lügen, petzen, stehlen und türkisch reden“, musste eine Gifhorner Neunjährige angeblich vor der ganzen Klasse sagen

von KAI SCHÖNEBERG

Mindestens eine Woche soll das Mädchen von der Klasse ausgegrenzt worden sein, die Eltern behaupten sogar, die Mitschüler hätten drei Wochen lang kein einziges Wort mit der neunjährigen Türkin an der Freiherr-vom-Stein-Schule im niedersächsischen Gifhorn gesprochen. Damit nicht genug der Demütigung: „Unsere Tochter musste an der Tafel vor der ganzen Klasse sagen: ‚Ich werde nicht mehr lügen, petzen, stehlen und türkisch reden“, schreiben ihre Eltern jetzt in einem Brief an die Familien der Mitschüler, den die Braunschweiger Zeitung zitiert.

Kinder können grausam sein. Aber offenbar auch ihre Lehrer. Die Ausgrenzung der jungen Türkin folgte nämlich offenbar nach einem Beschluss des Klassenrats, einer Art Schülerparlament, in dem die Kinder unter Leitung des Lehrers Probleme besprechen. Also war die Lehrerin mutmaßlich über das Schikane-Szenario bestens informiert.

Obwohl die Schule dementiert, ist bereits die Braunschweiger Bezirksregierung eingeschaltet. Er gehe von „grober Fahrlässigkeit“ aus, sagt Walter-Johannes Herrmann, Dezernatsleiter für allgemein bildende Schulen. Und: „Dass so etwas in Anwesenheit der Lehrerin geschieht, ist eigentlich undenkbar.“ Sie „hätte sofort eingreifen und sagen müssen, dass der Beschluss so nicht akzeptiert wird“, betont Herrmann. „Die Außenseiterrolle des Mädchens“ werde durch die Vorgänge „nur noch bestärkt“. Die Anschuldigungen der Eltern würden derzeit geprüft. Dazu habe bereits ein erstes Gespräch mit der Lehrerin stattgefunden. Als Konsequenz böten sich „Fortbildungen in dem Bereich an“, sagte Herrmann.

Hart ins Gericht ging er mit Schulleiter Manfred Berner. „Es geht keinen etwas an, dass der Schulleiter den Protest der Eltern damit in Zusammenhang bringt, dass sie wohl mit der Schulempfehlung im Halbjahreszeugnis nicht zufrieden sind“, kritisierte Herrmann. Der Schulleiter, der diese Verbindung in der Braunschweiger Zeitung hergestellt hatte, war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Der Gifhorner Kinderarzt Ekkehard Holzgraefe bestätigte die Vorfälle. Das Mädchen sei in Begleitung ihres Bruders wegen Kopf- und Bauchschmerzen zu ihm gekommen und „wollte erst nicht so richtig mit der Sprache raus“. Da er in den Schikanen eine Art von Kindermobbing („Bullying“) vermutet, schaltete Holzgraefe den Schulpsychologischen Dienst ein. Der von den Eltern angestrebte Schulwechsel nach den Ferien, den auch die Schulaufsicht unterstützt, könnte dem Mädchen helfen, das Geschehene zu überwinden. Holzgraefe macht Hoffnung: „Wenn sich die Strukturen ändern, erholen sich die Kleinen meist erstaunlich schnell.“