Wowi gefriert sein Lächeln

Der Gastgeber von Kirchentag und SPD-Parteitag hat plötzlich Ärger in seiner rot-roten Koalition

aus Berlin ROBIN ALEXANDER

Junge Christen singen Unter den Linden Kirchentagslieder, während im Arme-Leute-Bezirk Neukölln die SPD auf einem Sonderparteitag beschließt, wie dieses Land reformert werden soll. Eine Art Gastgeber beider Veranstaltungen ist Klaus Wowereit (SPD), ein Regierender Bürgermeister der strahlend in dieser Rolle aufgeht – und Urlaub nimmt vom politischen Alltag, der ihm gerade jetzt wenig Freude macht.

Diese Woche war die Woche der Kritik an Wowereit – zum erstem Mal seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren traf ihn geballte Ablehnung. Andreas Matthae, ein junger stellvertretender SPD-Parteivorsitzender, eröffnete den Reigen: Wowereit agiere ohne erkennbare Prioritäten und vernachlässige die politische Führung. Weitere Sozialdemokraten stießen ins selbe Horn. Eine völlig andere Kritik äußerte zeitgleich der Koalitionspartner. Die PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner nannte in einem Interview mit dieser Zeitung Wowereits Absicht, die Sozialausgaben zu kürzen, „ziemlich populistisch“. Es ginge nicht an, dass Berlin gleichzeitig einen Großflughafen bauen wolle und die soziale Infrastruktur in Frage stelle. Nach Knake-Werners Vorstoß wagten sich auch die männlichen Sozialisten im Senat aus der Deckung und bezogen öffentlich Position gegen Wowereits Art der Sparpolitik.

Während die Seinen öffentlich über ihn herfallen, schweigt Wowereit. Er weiß nicht, wie ihm geschieht: Hat es nicht erst vor zwei Wochen einen SPD-Parteitag gegeben auf dem über Gott, die Welt und den Kanzler gemurrt wurde, aber nicht über den Regierenden? Und hatten sich die PDS-Senatoren nicht bisher jeder Zumutung gegen ihre Klientel gebeugt, wie Schafe der Schur? Wowereit ist ein Opfer seines Erfolgs geworden. Das Rezept dafür war bisher Zumutung an Zumutung zu reihen. Den Beamten hat er das Weihnachtsgeld gekürzt, die Eltern müssen bald die Schulbücher ihrer Kinder bezahlen, die Gewerkschaften quält der Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag für öffentlich Angestellte. Bei einer Konferenz der Finanzminister stimmte ein Senator der rot-roten Koalition allen Ernstes für den Ausstieg aus der automatischen Anpassung der Sozialhilfe an die Lohnentwicklung. In Berlin macht das Bonmot die Runde, da eine sozialdemokratische Regierungspartei für wirklich neoliberale Politik nicht ausreiche, habe man im Senat gleich zwei.

Ausgerechnet beim schwierigen Unterfangen einen Doppelhaushalt für 2004/5 aufzustellen, hat Wowereit überreizt. Überraschend tat er der staunenden Öffentlichkeit kund, die Sanierung des überschuldeten Haushalts sei wie geplant nicht zu erreichen. Außerdem – so Wowereit nonchalant – müsse man nun an die Sozialausgaben heran. Dieses Vorgehen entspricht einem Zahnarzt, der sagt: „Meine Behandlung nutzt nichts, aber sie wird furchtbar weh tun. Mund auf!“ Sowohl SPD als auch PDS haben Wowereit in dieser Woche kräftig auf die Finger gebissen. Die rot-rote Koalition ist sich eben einig – selbst in der Kritik an ihrem Chef.