Das Ziel war die Manipulation

Die US-Öffentlichkeit scheint es nicht zu stören, dass ausgerechnet George W. Bush, der Gralshüter von Anstand und Moral, sie womöglich belogen hat

aus Washington MICHAEL STRECK

Es war der Offenbarungseid der US-Regierung. Der stellvertretende Verteidigungsminister und neokonservative Wortführer des Irakkrieges, Paul Wolfowitz, hat zugegeben, Berichte über irakische Massenvernichtungswaffen seien in erster Linie aus politischen Gründen für einen Krieg gegen Bagdad genutzt worden. Sie seien niemals der wichtigste Kriegsgrund für die USA gewesen, sagt Wolfowitz in der Juli-Ausgabe des britischen Magazins Vanity Fair. „Aus bürokratischen Gründen“ habe sich die US-Regierung auf dieses Thema konzentriert, weil es „der eine Grund war, dem jeder zustimmen konnte“, so Wolfowitz.

Pentagon-Chef Donald Rumsfeld versuchte nach den Enthüllungen seines Vize zurückzurudern. Er bestritt, dass die Frage irakischer Massenvernichtungswaffen lediglich ein Vorwand für den Irakkrieg gewesen sei. Er sei weiterhin überzeugt, dass die Regierung von Saddam Hussein über biologische und chemische Waffen verfügt habe, sagte er am Donnerstag. Bis zum Fund dieser Waffen werde es noch eine Weile dauern. Außerdem seien bereits zwei mobile Labors zur Herstellung von Chemie- und Biowaffen entdeckt worden – ein Hinweis, auf den sich Vertreter der Bush-Regierung seit Wochen retten, wenn sie der peinlichen Situation ins Auge schauen müssen, bei der „frustrierenden“ Suche, wie sie US-Spezialisten beschreiben, erfolglos zu bleiben. Selbst Rumsfeld hatte noch zwei Tage zuvor eingestanden, dass möglicherweise niemals Waffen gefunden würden, da die Iraker „entschieden haben, sie vor dem Krieg zu zerstören“.

Die Existenz irakischer Bio-, Chemie- oder Atomwaffen war zwar das Hauptargument der US-Regierung zur Rechtfertigung der Invasion im Irak im Ausland und an der Heimatfront. Nur so ließ sich der US-Kongress zu seiner Kriegsvollmacht für Bush bewegen. Dennoch haben Weißes Haus und Pentagon nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr eigentliches Ziel „Regimewechsel“ in Bagdad heißt, um in einer Art Dominoeffekt den Nahen Osten neu zu ordnen. Daher zeichnete die Bush-Regierung Saddam Hussein als mörderischen Tyrannen und Schlüsselfigur im internationalen Terrorismus. Doch auch die behaupteten Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida konnten bislang nicht belegt werden. Woher auch, wenn selbst die CIA im Vorfeld des Krieges keine Anhaltspunkte für diese Terrorachse hatte. So liegt der Verdacht mehr als nahe, dass die US-Regierung auch hier manipuliert und übertrieben hat.

Die Aussagen von Wolfowitz demontieren in Washington vor allem Außenminister Colin Powell. Dieser hatte sein ganzes Gewicht in die Waagschaale geworfen, als er Anfang Februar vor dem UNO-Sicherheitsrat seine „Beweise“ gegen Bagdad vorlegte, die die Weltgemeinschaft von der Bedrohung durch irakische Waffen überzeugen sollten. Im besten Fall dürfte er nun als loyaler Erfüllungsgehilfe seines Chefs angesehen werden, im schlechteren Fall als Demagoge oder Lügner. Die Aussagen belegen ferner, dass selbst innerhalb der Bush-Regierung und im Kongress die zwingende Logik, einen Irakkrieg führen zu müssen, nicht nur umstritten war, sondern anfänglich verworfen wurde. Immerhin hatte Wolfowitz versucht, Bush bereits kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September für einen Angriff auf den Irak zu gewinnen. Hartnäckig und erfolgreich überzeugten er und seine neokonservativen Gesinnungsgenossen anschließend Bush, dass der Krieg gegen den Terror auch nach Bagdad getragen werden müsse.

Wolfowitz’ brisantes Eingeständnis dürfte auch wenig dienlich sein, die Stimmung beim G-8-Gipfeltreffen im französischen Evian am Sonntag zu verbessern. Die Kriegsgegner Frankreich, Russland und Deutschland waren gerade dabei, ihren bitteren Streit mit den USA hinter sich zu lassen. Nun werden sie sich nicht nur in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt fühlen, sondern sich zudem fragen müssen, welche Vertrauensgrundlage das transatlantische Verhältnis noch hat angesichts der „größten Staatslüge der vergangenen Jahre“ wie es die französische Tageszeitung Le Monde formuliert. Die Empörung in der US-Öffentlichkeit hält sich dagegen in Grenzen. Wenige, wie New York Times-Kolumnist Paul Krugman, fühlen sich an den Film „Wag the Dog“ erinnert, in dem eine US-Regierung einen fiktiven Krieg anzettelt, um die Bevölkerung von innenpolitischen Problemen abzulenken und die nächste Wahl zu gewinnen. „Der Irakkrieg war real. Aber seine Rechtfertigung war erfunden“, schreibt Krugman. Die Mehrheit der Bevölkerung und die politischen Eliten hingegen sehen den Krieg durch den Sturz einer grausamen Diktatur legitimiert. Es scheint sie wenig zu stören, dass ausgerechnet Bush, der sich stets als Gralshüter von Anstand und Moral verkauft, sie möglicherweise belogen hat. Ein Krieg, basierend auf einer Lüge, gibt offenbar weniger Anlass zum öffentlichen Aufschrei als die Lüge über eine Sexaffäre mit einer Praktikantin.