„Die Kosovaren brauchen mehr Macht“

Der Chef der Demokratischen Partei des Kosovo, Hashim Thaci, fordert mehr Kompetenzen für die gewählten Institutionen des Kosovo. Die UN-Mission soll sich auf beratende Tätigkeiten beschränken. In einem unabhängigen Kosovo soll Platz für alle sein

INTERVIEW ERICH RATHFELDER

taz: Herr Thaci, die internationale Gemeinschaft ist sauer. Der EU-Außenpolitiker Javier Solana hat sich am 24. März sogar geweigert, Ihnen die Hand zu reichen. Die internationale Diplomatie will eine klare Distanzierung der kosovo-albanischen Politiker von der Gewalt.

Hashim Thaci: Wir sind in eine dramatische Phase der Politik im Kosovo eingetreten. Der Tod der drei Kinder am Ibarfluss führte zu Eruptionen, die nicht hätten passieren sollen. Das ist nicht zu rechtfertigen und nicht zu tolerieren. Wir verurteilen die Zerstörung serbischer Häuser, das Niederbrennen von Kirchen und historischen Denkmälern, wir verurteilen jede Gewalt. Um die Situation wieder in den Griff zu bekommen, müssen die lokalen und internationalen Kräfte kooperieren.

Aber die Revolte richtete sich auch gegen die UN-Mission. Viele Leute haben offenbar die Nase voll von der internationalen Verwaltung.

Wir müssen jegliche Konfrontation zwischen den lokalen Kräften und den internationalen Institutionen vermeiden. Es gibt aber eine Reihe von Problemen, die ungelöst geblieben sind. Niemand von kosovo-albanischer Seite kann die serbischen Parallelstrukturen akzeptieren. Eine Teilung des Landes kommt überhaupt nicht in Frage. Niemand versteht, dass die UN-Mission mit der Regierung in Belgrad über die Kantonalisierung, also die Legalisierung der Parallelstrukturen in den Enklaven, und sogar über die Teilung des Landes sprechen konnte. Nach wie vor gibt es im Rechtssystem doppelte Standards. Wir können nicht verstehen, dass Kriminalität in den internationalen Institutionen toleriert wird.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Wir sind alle nicht perfekt, nicht die internationalen Institutionen und auch nicht die lokalen Politiker. Aber wir müssen jetzt in die Zukunft sehen. Das Kosovo muss von den Kosovaren verwaltet werden, die UN-Mission sollte weiter bleiben, aber mehr in einer beratenden Funktion. Diese Position habe ich schon vor den dramatischen Ereignissen eingenommen, jetzt umso mehr.

Sie treten ja weiter für eine Unabhängigkeit des Kosovo ein. Gerade in diesem Punkt zögern die Europäer. Javier Solana hält nichts von neuen Kleinstaaten, er tritt für den Zusammenhalt von Serbien und Montenegro ein. Die Europäer fragen sich, was mit den Serben im Kosovo geschehen soll.

Da brauchen sie keine Angst zu haben. Wir streben einen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger an, ganz gleich welcher ethnischen Gruppe jemand zugehört. Ein unabhängiges Kosovo ist also für alle da, für Albaner, für Serben, Roma, Türken, Bosniaken, Goranj und andere.

Das klingt gut, aber während der Revolte geschah doch etwas anderes. Die Veteranenorganisation ist doch an Ihre Partei gebunden, die Demonstranten wollten das Kosovo ethnisch säubern. Können Sie diese Leute noch kontrollieren?

Sie sind nicht richtig informiert. Die Revolte ist sehr komplex, es waren nicht nur Veteranen involviert. Die Bürger des Kosovo revoltierten aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. In der Tat war es eine Solidarisierungswelle mit den Protesten in Mitrovica. Aber es gab keine ethnischen Säuberungen. Trotz allem bin ich optimistisch, dass wir postitive Veränderungen im Kosovo erreichen. Die Nato wird immer von unseren Bürgern respektiert sein. Die Unmik sollte ihre Rolle aber verändern, von einer exekutiven Gewalt zu einem die gewählten Institutionen des Kosovo beratenden Gremium.

Was sind Ihre konkreten Forderungen an die internationalen Institutionen?

Nach den Ereignissen hat sich alles verändert. Wir werden niemandem mehr erlauben, unverantwortlich zu handeln, wir wollen nicht mehr wie unmündige Kinder behandelt werden. Die internationalen Institutionen sollten uns mehr vertrauen und zutrauen. Die gewählten Vertreter des Volkes müssen mehr Einfluss erhalten. Wir haben eine schlechte wirtschaftliche Lage, die Jugend hat keine Perspektiven. Im Kosovo gibt es die höchste Präsenz internationaler Institutionen und Mitarbeiter, und zur gleichen Zeit sind wir international nirgends vertreten. Wir haben keine Außenpolitik, wir brauchen ein Außenministerium, wir brauchen mehr Einfluss in der Wirtschaftspolitik und auch bei den Sicherheitsstrukturen. Das Kosovo-Korps TMK sollte auch an den Außengrenzen eingesetzt werden. Wir haben ein gewähltes Parlament und eine gewählte Regierung, wir konnten jedoch nichts durchsetzen und bewegen. Wir brauchen mehr Macht, um die Interessen unserer Bevölkerung zu vertreten.