Streit um Kenias Verfassung

Der Regierung gefällt der neue Entwurf ihrer eigenen Kommission nicht. Es geht um die Macht des Präsidenten und die Einführung eines Premierministers

NAIROBI taz ■ Minister verschiedener Parteien innerhalb der kenianischen Regierungskoalition drohen einander mit sehr undiplomatischen Wortern. Bürger gehen bei Diskussionen in der Kneipe mit Fäusten aufeinander los. Die Debatte um eine neue Verfassung des Landes, zentrales politisches Reformversprechen der Ende 2002 gewählten Regierung von Präsident Mwai Kibai, bringt das politische Klima auf den Siedepunkt. Grund ist, dass eine von der neuen Regierung eingesetzte Verfassungskonferenz zu anderen Schlüssen gekommen ist, als es die Regierung wollte.

Die bisherige Verfassung gibt dem Staatspräsidenten sehr viel Macht. Er ernennt die Richter und die Leiter der Staatsbetriebe, verteilt Land und monopolisiert die politische Entscheidungsgewalt. Als die heutige Regierung in der Opposition saß, plädierte sie für eine Beschneidung der präsidialen Macht und die Einführung eines Premierministers. Ein großer Teil der Kenianer unterstützte das, weil der damalige Präsident Daniel arap Moi seine Macht missbrauchte. Und auch jetzt sind laut einer Umfrage der Zeitung Daily Nation 52 Prozent der Bevölkerung für einen Premierminister als Regierungschef; das Amt des Staatschefs soll hauptsächlich zeremonielle Funktion haben.

Aber seit die frühere Opposition bei den Wahlen Ende 2002 eine „Regenbogenkoalition“ bildete, die Wahlen gewann und den ersten demokratischen Machtwechsel in Kenias Geschichte herbeiführte, sind einige ihrer Aktivisten Minister geworden. Ihre Position von einst erscheint ihnen nun nicht mehr opportun. Präsident Mwai Kibaki gehört nämlich der größten kenianischen Ethnie an, dem Volk der Kikuyu. Sein Wahlsieg basierte auf einer Allianz der Kikuyu mit dem drittgrößten kenianischen Volk, den Luo aus dem Westen Kenias, geführt von dem bekannten Oppositionellen Raila Odinga. Vor den Wahlen 2002 wurde ihm der Posten des Premierministers versprochen. Stattdessen wurde er Minister für Straßenbau. Die meisten Kikuyu in der Regierung konnten die Idee nicht verkraften, die eigentliche Macht an einen Luo zu übergeben.

Als kurz nach der Wahl eine Verfassungskonferenz aus Bürgergruppen, Politikern und Kirchenführern einberufen wurde, legte die Regierung ihr einen Kompromiss vor, der die Exekutivmacht gleichmäßig auf Präsident und Premierminister verteilt. Aber die Konferenz von 629 Delegierten beschloss gegen den Willen der Regierung einen Verfassungsentwurf mit einem mächtigen Premierminister als Regierungschef. Einige Minister verließen wütend die Beratungen.

Nun ist unklar, was mit dem letzte Woche vorgelegten Verfassungsentwurf passiert. Wird er dem Volk zur Abstimmung vorgelegt, oder darf das Parlament noch Änderungen anbringen? Präsident Mwai Kibaki scheint Letzteres zu befürworten. In einer Fensehansprache bat er um „Ruhe und Vernunft, wenn das Parlament über den Entwurf debattieren wird“.

Kibaki, der die Öffentlichkeit scheut und seit einem Autounfall während des Wahlkampfs vor zwei Jahren nicht sehr gesund ist, hat sich lange – nach Meinung vieler Kommentatoren zu lange – aus dem Streit herausgehalten. Seit seiner Rede im Fernsehen hat er verschiedene Minister in seiner Regierung, die sich öffentlich gestritten hatten, zur Ruhe gezwungen. Aber der Streit an sich ist durch Kibakis Einmischung nicht entschärft. Beide Fraktionen haben die Gerichte angerufen. So besteht durchaus die Gefahr, dass der Verfassungsentwurf im Papierkorb verschwindet.

ILONA EVELEENS