crime scene
: Die Dummheit der Existenz

Nun ist er schon zum neunten Mal unterwegs, Salvo Montalbano, der Verehrer schöner Frauen und guter Küche. Wie an manch anderem fiktiven Krimikollegen hat auch an ihm die Zeit kaum Spuren hinterlassen. Noch immer pflegt er eine innige Fernbeziehung zu seiner Ewigverlobten Livia, die ihm genügend Raum für den entspannten Flirt mit attraktiven weiblichen Verdächtigen lässt. Noch immer bilden das gute Mittagessen und der Spaziergang auf der Mole, bei dem ihm die besten Gedanken kommen, das Zentrum seiner Existenz. Noch immer ist er trotzdem kein bisschen langweilig. Doch die Tatsache, dass der neueste Montalbano-Roman mit der Beschreibung eines Morgenrituals beginnt, das der Commissario entwickelt hat, um nicht an den Tod denken zu müssen, gibt zu denken. Schließlich kennen wir die oft seherischen Eingebungen unseres Helden. Bereitet etwa sein Autor mit diesem Einfall Montalbanos Abgang von der literarischen Bühne vor? Signor Camilleri, das ist nicht nötig! Wir Leser lieben die Wiederkehr des Immergleichen!

Doch wahrscheinlich muss der Autor in seiner Weisheit uns einfach ab und zu darauf stoßen, dass die Existenz dieses Helden keine Selbstverständlichkeit ist wie die Luft, die wir atmen. Dabei sollten wir das eigentlich wissen, angesichts der Beiläufigkeit, mit der der Tod in Camilleris Romanen aufzutreten pflegt. Noch die erschreckendsten Arten, ums Leben zu kommen, die andere Autoren als Ausgangspunkt einer bitteren Sozialkritik oder als Kernstück einer harschen Gewaltfantasie nutzen würden, werden unter Camilleris Feder zu – oft tragikomischen – Sinnbildern der Vergeblichkeit menschlichen Strebens schlechthin.

„Angelo hatte sich gut organisiert, und ebendieser Angelo saß versunken in dem Sessel. Der Schuss, der ihn getötet hatte, hatte ihm das halbe Gesicht weggerissen. Er war in Hemd und Jeans. Der Reißverschluss der Jeans war offen, das Geschlechtsteil hing ihm zwischen den Schenkeln herunter. ‚Was soll ich tun, anrufen?‘, fragte Fazio.“ – Man könnte auch sagen: Was nützt es Angelo, sich zu Lebzeiten gut organisiert zu haben, wenn seine Leiche mit offener Hose gefunden wird? Diese spezielle Totenpose übrigens, deren Verbreitung und Bedeutung in der Kriminalliteratur vielleicht mal lohnender Gegenstand einer vergleichenden Untersuchung wäre, ist, glaubt die Rezensentin, bei Camilleri schon anderswo vorgekommen. Aber wenn ja, wo war das bloß? Auch das ist ein eigenartiges Phänomen: Es ist sehr schwierig, sich im Nachhinein an Besonderheiten einzelner Montalbano-Romane zu erinnern, verbinden sie sich doch in der Großhirnrinde gern zu einem einzigen Ganzen. Auch wer der Mörder war, hat man ungefähr eine Woche nach der mit angehaltenem Atem und einem abwesenden Lächeln auf den Lippen absolvierten Lektüre eines neuen Camilleri schon wieder vergessen. Warum nur?

Wahrscheinlich, weil es, so ganz grundsätzlich betrachtet, ziemlich egal ist. All diese Toten, all diese Gewalt, spiegeln doch nur die Sinnlosigkeit und Dummheit menschlicher Existenz. Natürlich weiß Montalbano das. Dass er, einem sizilianischen Sisyphos gleich, dennoch stets von Neuem den Kampf gegen das Böse im Menschen aufnimmt, macht es umso wichtiger, dazwischen gut zu essen.

Alles andere ist nicht so wichtig, schon gar nicht die moderne Technik. Und deshalb ist es auch kein Superhirn von Computerexperte, der dem Rechner des ermordeten Angelo seine passwortgeschützten Geheimnisse entreißt, sondern Catarella, der dümmste aller Polizisten. KATHARINA GRANZIN

Andrea Camilleri: „Die dunkle Wahrheit des Mondes“. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2008, 271 Seiten, 8,95 Euro