Das Ende der heimischen Scholle

Die Nordsee darf weiterhin leer gefischt werden. Die EU erlaubt den Fang von mehr Schollen, mehr Kabeljau, mehr Seezungen und mehr Makrelen. Allerdings sollen erstmals Maßnahmen gegen die Verschwendung durch Beifang ergriffen werden

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Die Plünderung der Meere vor Norddeutschlands Küsten geht weiter. In der Nordsee dürfen Fischer im kommenden Jahr fast ein Drittel mehr Kabeljau fangen als im laufenden Jahr. Nach gemeinsamen Verhandlungen mit Norwegen einigten sich die für Fischerei zuständigen Agrarminister der EU-Staaten am Freitag in Brüssel, die Quote für den Speisefisch in der Nordsee um 30 Prozent zu erhöhen. Der deutsche Anteil wurde um 11 Prozent aufgestockt (siehe Tabelle). Die Quoten für die Ostsee waren bereits Ende Oktober festgelegt worden.

Die Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) sprach von einem „riskanten Spiel“. Nach jahrzehntelanger Überfischung ist der Fisch in seinem Bestand und in einigen Gebieten sogar vom Aussterben bedroht. „Der Kabeljau erholt sich gerade von einem historischen Tiefstand“, sagte WWF-Expertin Karoline Schacht, „da wäre mehr Vorsicht geboten.“

Drastisch erhöht werden nach dem jetzigen Beschluss zudem die Fangmengen für Scholle und Makrele. Glatte zehn Prozent mehr der Plattfische dürfen im kommenden Jahr in der Nordsee gefangen werden, bei der Makrele wurde die Quote sogar um 35 Prozent nach oben gesetzt. Überdies gibt es keine Entwarnung bei den besonders in ihrem Bestand bedrohten Arten wie Seezunge, Seelachs oder Heilbutt. Zudem dürfen auch die bedrohten Dornhaie weiterhin gefangen werden. Ihre Bauchlappen werden zu Schillerlocken geräuchert, der Rest wird zu Katzenfutter verarbeitet.

Gleichzeitig müssen die Fischer erstmals Maßnahmen ergreifen, um den Rückwurf von unerwünschtem Beifang zu verringern. Nach Berechnungen von Umweltschützern wird allein in der Nordsee etwa eine Million Tonnen in den Netzen gefangene Fische wieder über Bord geworfen, da sie nicht verwertet werden können oder dürfen. Allein im Jahr 2007 wurden nach Angaben des WWF 23.000 Tonnen Kabeljau über die Reling entsorgt – fast eben so viel, wie an Land gebracht wurde. Ein Ende dieser Verschwendung fordern Umweltschutzorganisationen in ganz Europa seit langem.

Die neue Regelung sei ein „Paradigmenwechsel“, sagte Gert Lindemann, Staatssekretär im für Fischereifragen zuständigen Bundeslandwirtschaftsministerium, nach Abschluss der Verhandlungen. Diese hatten bereits am Donnerstag begonnen und rund 24 Stunden gedauert. Der amtierende Ratsvorsitzende, Frankreichs Agrarminister Michel Barnier, sagte, „eine verantwortungsvolle Bewirtschaftung der empfindlichen Bestände“ sei notwendig: „Andererseits geht es um die Tätigkeit der Fischer, die bewahrt werden muss.“

Selbst die EU-Kommission räumt ein, dass in den europäischen Meeren 88 Prozent der Bestände überfischt sind. Bei den alljährlichen und stets heftig umstrittenen Verhandlungen halten sich die 27 EU-Minister aber üblicherweise nicht an die Empfehlungen von Wissenschaft, Umweltschützern und EU-Kommission.

Der Unmut darüber ist auch innerhalb der europäischen Behörden groß. Das eigenmächtige Erhöhen der Fangquoten durch die Minister „muss aufhören, weil es den Fischbestand gefährdet und damit langfristig den Fischern die wirtschaftliche Grundlage entzieht“, hatte Paul Nemitz, EU-Generaldirektor für Maritime Angelegenheiten, Ende November im Interview mit der taz nord eingeräumt.

Ende Oktober hatten sich die EU-Minister bereits auf die neuen Fangquoten für die Ostsee verständigt. Sie kürzten die Quote für Hering um 39 Prozent. Die neue Gesamtfangmenge wird nach einem komplizierten Schlüssel aufgeteilt auf Deutschland, Dänemark, Schweden und Polen. Während die Fischer in der westlichen Ostsee in diesem Jahr noch 44.550 Tonnen Hering fangen durften, sind im nächsten Jahr nur noch 25.839 Tonnen erlaubt, davon entfallen 14.993 Tonnen auf die deutsche Fischerei.

Damit wurde die Fangquote zwar gesenkt, dennoch blieben die Minister weit hinter dem Vorschlag der EU-Kommission zurück. Der maltesische Fischerei-Kommissar Joe Borg hatte zum Schutz des Herings eine Senkung um 63 Prozent gefordert. Beim Dorsch war die Ministerrunde den Vorschlägen der EU-Kommission gefolgt. Sie setzte die Quote für den östlichen Teil der Ostsee um 15 Prozent herauf, weil sich die Bestände dort erholt hätten. Für die westliche Ostsee wurde die Menge hingegen um 15 Prozent gesenkt.

Dieser Beschluss sei zwar „eine bittere Pille für die Fischer“, hatte damals WWF-Expertin Schacht kommentiert, für die Erholung der Heringsbestände sei er dennoch „nicht ausreichend“. Die Minister hätten „zum wiederholten Male die Empfehlungen der Wissenschaft zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen ignoriert“.

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