Denken, während es noch rauscht

Was ist härter? Die Medienwelt oder dieser Autor? Der Regisseur Patrick Wengenroth hat Rainald Goetz’ Stück „Festung“ von 1992 auf die Bühne des HAU 2 gebracht und dabei herausgeholt, was herauszuholen ist. Wiedersehen mit Katja Ebstein!

VON JÖRG SUNDERMEIER

1993 erschien die fünf Bücher umfassende Box „Festung“ von Rainald Goetz, darin ein Band mit Stücken, darin „Festung“. Weitaus umfangreicher aber war der Materialband „1989“. Goetz hatte Fernsehmitschriften verfasst, betätigte sich als Chronist der Gegenwart. Das 1992 uraufgeführte Stück „Festung“ nutzt dieses Material, ja, es ist ebenso ein großer Materialhaufen, aus dem sich das Publikum einen Sinn zupfen darf. Dieser Materialhaufen kann erhellend wirken, wenn er gut aufgeführt wird.

Das wird er in Patrick Wengenroths Inszenierung, die nun im HAU 2 Premiere hatte. Wengenroth hat das Stück auf seine Aktualität hin untersucht und widerstand dabei der Versuchung, die Personage zu „aktualisieren“. So hat man es weiter mit Wolfgang Pohrt, Katja Ebstein oder Friedrich Luft zu tun, die heute nur noch wenige kennen, aber auch mit Hape Kerkeling, der sich 1992 noch gar nicht als der esoterische Sinnsucher entlarvt hatte, als den ihn sein Jakobswegbestseller erweisen sollte.

Wengenroths „Festung“ ist eine allumfassende Fernsehshow. Mascha Mazur hat den durchweg beeindruckenden Schauspielerinnen und Schauspielern eine Showbühne gebaut, die, von dutzenden Neonröhren angestrahlt, ein bisschen wie eine kitschige Pro7-Popstars-Bühne wirkt. Zugleich wirkt sie, da sie die Engführung der Guckkastenbühne verstärkt, beunruhigend zugespitzt. Wenn schließlich im letzten Drittel des Stückes zu einer von Charlotte Engelkes verzerrt gesungenen Version des „Berliner Luft“-Marsches die Stelen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas tanzend auf die Bühne kommen, wird der Klamauk, in den einige der Szenen zwangsläufig ausarten, noch beklemmender. Jede Albernheit endet eh in Verzweiflung, spielt etwa Georg Scharegg den berühmten Bowle-Gag von Peter Frankenfeld nach, so wird dies immer peinlicher für die Zusehenden. Lachen ist keine Erleichterung mehr.

Die etwas über zwei Stunden dauernde Inszenierung schenkt dem Publikum nichts, belohnt es aber dennoch. Wengenroth lässt zwar einige Gesangseinlagen zu lang werden und gesteht den Schauspielern gelegentlich ein Überagieren zu, das nur den Zweck hat, die Aufmerksamkeit der Unkonzentrierten zurückzugewinnen. Im Ganzen jedoch hat er aus dem Stück, das bei ihm zu einer Revue wird, herausgeholt, was herauszuholen ist.

Das Grundproblem des Stücks löst er nicht. Rainald Goetz neigt dazu, jedes Problem, das er beschreibt, für sein persönliches zu halten. Wenn Goetz die Langeweile von Literaturtagungen im LCB „Wannseekonferenzen“ nennt, wenn er die Philosophie dafür hasst, dass er sie nicht versteht, die deutsche Geschichte und das Fernsehen dafür, dass es ist, wenn er schließlich Fassbinder und Goethe als Alter Egos auffährt, dann mag man das für anmaßend halten, vor allem aber zeigt es: Goetz kann keinen kritischen Abstand finden. Er kann das Buch nicht zuschlagen, er findet den Aus-Knopf nicht. Er will denken, während es weiter rauscht. Es verwirrt ihn. Und das macht seine „Festung“ wiederum der Welt zum Vorwurf.

Wengenroth versucht das Problem zu lösen, indem er Goetz-Parodien aufführt, aber er entkommt dem Problem nicht. Doch schon das Material, das beide, Wengenroth wie Goetz, dabei präsentieren, macht diesen mit großer Spielfreude und Witz dargebotenen Abend lohnenswert.

weitere Aufführung am 21. Dezember