Ein spärlicher Protest

Im Hotel Estrel beschließt die SPD ihre Agenda 2010. Draußen protestieren kaum 1.000 Menschen gegen Sozialabbau. Gewerkschaftsbasis schimpft auf DGB-Chef Sommer. Und auf Schröder sowieso

von MAXIMILAN HÄGLER

Drinnen redet gerade der Bundeskanzler und SPD-Parteichef Schröder von seiner „Agenda 2010“, spricht von dem „Mut zur Veränderung“ und davon, dass die SPD nicht neben der Gesellschaft handele, sondern in ihrer Mitte. Ungefähr in dem Moment will auch Herr Schröder mit seiner Tochter ins Hotel Estrel vorgelassen werden, seinen als Tanzbären verkleideten Ver.di-Kollegen brav an der Leine. Aber Schröder ist eben nicht gleich Schröder, und so können die Polizisten dem 36-Jährigen und seinen beiden Begleitern nicht ohne weiteres Einlass gewähren. Letztlich scheitert es nicht mal an der Bundeskanzler-Maske, die Thomas Schröder aufgesetzt hat, sondern am fehlenden Personalausweis. Und so muss Schröder alias Schröder samt Kind und Tanzbär draußen bleiben auf der Sonnenbrücke vor dem Hotel Estrel, in dem sein Namensvetter gerade die Genossen vom richtigen, mehr oder weniger sozialdemokratischen Kurs zu überzeugen versucht.

Auch die übrigen etwa 1.000 Demonstranten, die in der Mittagszeit vor das Neuköllner Hotel ziehen, dringen mit ihrem Protest gegen die Reformpläne Schröders nicht in das „Convention Center“ des Hotels. Dort sitzt gerade die Spitze der deutschen Sozialdemokratie mit 524 SPD-Deligierten beim außerordentlichen Parteitag zusammen und diskutiert über die Zustimmung zur „Agenda 2010“. Dieser Rettungsplan für die marode Republik sieht etwa vor, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt werden und dass der Bezug des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate begrenzt wird. Für Thomas Schröder bedeutet das einen „bodenlosen“ Sozialabbau. Da werde am falschen Ende gespart, stellt der arbeitslose Krankenpfleger fest, der im Ver.di-Erwerbslosenausschuss organisiert ist.

Und auch sonst sind die Gewerkschafter nicht gut auf die Sozialdemokraten zu sprechen. Es sei eine riesige Frustration da, stellt Hermann von Schuckermann von der IG Metall in Ludwigsfelde fest: „Die SPD zieht uns das Fell genauso über die Ohren wie die anderen Parteien.“ Und mit Blick auf die bunte, aber doch lichte Demonstrantenschar ist dem Metall-Gewerkschafter klar, was fehlt: „Wir brauchen mehr Widerstand!“ Mit einem Kopfschütteln weist er auf die Schröder-Rede hin, da habe der Kanzler doch „frecherweise“ gesagt, dass die Senkung der Vermögenssteuer ohne Änderung weitergehe. „Schon deshalb müsste eine halbe Million hier stehen.“

Aber das mit den Massen ist im Moment schwierig, gibt es doch an diesem Parteitagssonntag nicht einmal eine gemeinsame Veranstaltung von den Gewerkschaften. Drinnen im Hotel sitzt zwar auch der DGB-Chef Michael Sommer und wettert über die Nachrichtenagenturen gegen den „Sozialabbau“, der nicht geeignet sei, die Wirtschaft zu beleben. Aber hier draußen auf der Straße glaubt man dem Gewerkschaftsboss nicht so richtig. Der Mitorganisator und Berliner IG-Bau-Chef Lothar Näthebusch beklagt auf der Bühne jedenfalls die mangelnde Unterstützung durch den DGB. „Mich ärgert, dass die Funktionäre schweigen!“ Und auch Manfred Birkhahn, Mitglied der Landesgeschäftsführung von Ver.di, ist enttäuscht über den Protestbrecher Sommer: „Der hat da nichts zu suchen!“, beklagt er.

Im Gegensatz zu seinem Ver.di-Kollegen Birkhahn ist Thomas Schröder SPD-Mitglied. Und für ihn steht fest, was mit dem Parteibuch passiert, wenn die Agenda gewinnt: „Dann bin ich draußen. Hundertprozentig.“