Das Design des Fremden

Schöne Oberflächen und verschlungene Wege: Zum zweiten Mal bietet das Festival In Transit im Berliner Haus der Kulturen der Welt Künstlern unterschiedlichster Herkunft eine Plattform

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Schönheit gibt es überall. Schönheit kann Ong Keng Sen nicht widerstehen. In seinem Stück „The global soul“ stellt er sie aus wie exotische Blüten. Die Bühne aus Rampen und Treppen ist ebenso Zitat einer anonymen Flughafenarchitektur wie von Laufsteg und Revue. Fünf Reisende lässt Ong Keng Sen dort auftreten und sich umkreisen wie fremde Planeten. Sie werden von Performern sehr unterschiedlicher Herkunft markiert, aus Korea, China, Schweden und Frankreich. Jeder von ihnen bringt eine ganz andere Vorstellung des Raumes mit: Kang Kwon Soon, eine Sängerin aus Korea, sitzt unbeweglich auf dem Boden und schickt allein ihre Stimme auf die Reise. Nur ihrer Stimme zuzuhören, die sich wie ein Lavastrom durch einen Berg durch ihren Körper an die Oberfläche arbeitet, wäre eine wunderbare Entdeckung.

Doch eine Sache allein in den Blick zu nehmen, entspricht für Ong Keng Sen nicht mehr der heutigen Realität. So werden die langen Tonlinien von Kang Kwon Soon mit trippelnden Schritten gekreuzt von Zeng Jing Ping, die im Stil der chinesischen Liyuan-Oper von unerfüllter Liebe singt. Daneben erzählt Sophiatou Kossoko, ein schwarze Performerin aus Frankreich, wie sich ihr Gefühl für den Ort und die Zeit in einem Leben der ständigen Reisen verändert. So unterschiedlich wie ihre Geschichten, sind die ästhetischen Techniken der Künstler. Deshalb gleicht das Projekt „The global soul“ einem enzyklopädischen Unternehmen: fünf verschiedene Wege, die Gegenwart mit dem kulturellen Gedächtnis zu verbinden, werden miteinander verflochten.

In dieser Hingabe an die Signatur des Fremden und die Aura des Geheimnisvollen ist „The global soul“ typisch für Ong Keng Sen. Seine Handschrift ist von Leidenschaft durchzogen: Überall sucht er nach den Grenzgängern der Kulturen, die das Tor zwischen Kunst der Gegenwart und rituellen Praktiken der Vergangenheit wieder öffnen. Das zeichnet nicht nur sein eigenes Projekt aus, sondern auch das Programm des Festivals In Transit, das am 30. Mai zum zweiten Mal in Berlin, im Haus der Kulturen der Welt, begann. Ong Keng Sen ist zusammen mit Johannes Odenthal vom Haus der Kulturen der Welt der Kurator des Festivals.

Das Festival ist beides: Verführung zum Konsum, der wie eine internationale Speisekarte seltener Raritäten nach immer neuen Sensationen verlangt und Einladung zum Studium, das die Geschichte der alten Handelswege und Eroberungskriege ausgräbt, die diese Kombinationen erst möglich machten. Das Verhältnis der attraktiven Oberflächen der Aufführungen zu den Recherchen, die oft auf mühsamen Wegen zu verschütteten Teilen einer kulturellen Tradition führten, ist nicht immer einsichtig. Das weiß auch Koffi Kôkô, Choreograf und Kurator von In Transit 2004. Mit seinem Tanzstück „Les feuilles qui résistant au vent“ hat er das Festival dieses Jahr eröffnet.

Koffi Kôkô, der in Paris und Benin lebt, vergleicht seine Arbeit mit einem Freilegen verschütteter Verbindungslinien. Die Vergangenheit des Voodoo-Kults, deren spirituelles Zentrum zugleich die Stadt des Sklavenhandels war, ist Ausgangsmaterial seines Stückes. Wie kann man mit dieser Erinnerung umgehen, wie kann man sie wieder in die Gegenwart einbringen? Mit seinen Tänzern ist er zu Beginn des Projekts an heilige Stätten gereist. Motiviert wird dieses Vorgehen von der Erfahrung des Verlustes von Spiritualität und die Methode wendet sich kritisch gegen die Verdrängungsmuster in der kolonialen Geschichtsschreibung.

In der Aufführung allerdings von „Les feuilles qui résistant au vent“ ist von diesem Widerstand und den Brüchen der Tradition wenig zu spüren. Die sandbedeckte Bühne und die mit Lehm bemalten Körper bilden einen Ort, an dem die Rufe der Geister wieder vernehmlich gehört werden. Wie die Bewegungen von innen aus dem Körper kommen, aus einer großen Tiefe und Vergangenheit, ihn durchqueren und transformieren, ist zwar von beeindruckender Intensität. In jedem Augenblick vermittelt die Performance das Gefühl, etwas Kostbarem beizuwohnen. Aber sie funktioniert zu gut als geschlossenes Kunstereignis, um einen auf die Fragen zu stoßen, die Koffi Kôkô eigentlich bearbeiten will.

Sich mit dem Versagen der Spiritualität zu beschäftigen ist eine der roten Linien, die Ong Keng Sen zwischen den eingeladenen Künstlern sieht. Eine andere Spur ist der Sex. Dass beide Themen einen gemeinsamen Ursprung haben, machten am Eröffnungsabend die Island Divas aus Auckland und aus Samoa deutlich. In ihren Kostümen und Liedern trieben sie den Traum von der Südsee auf die Spitze: einen Traum von verlorenen Paradiesen, in dem sich sexuelles Begehren und spirituelle Erfüllung nahe gewesen waren. Die Dias, die sie dabei als Hintergrund benutzten, mit Bildern von Gauguin und den Völkerschauen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wiesen diesen Traum zwar eindeutig als ein Konstrukt der Fantasie der männlichen Eroberer aus. Das macht ihn aber nur umso attraktiver für die Divas, die als Transvestiten zugleich den Mythos von einem dritten Geschlecht erfüllen.

„Join the new world of performance“ und „Transforming the arts“ lauten die Untertitel des Festivals In Transit, als ob die Kunst hier ständig neu erfunden würde. Es ist ein wenig anstrengend und großspurig, wie das Festival sein Programm ankündigt und an eine karnevaleske Travestie gleich einen kritischen Diskurs über Geschlechtsidentität und Kolonialisierung anschließen möchte. Theoretisch scheint das oft überfrachtet und auch so neu nicht. Spaß macht dieser Hang zum Glamour allemal.