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Archiv-Artikel

Lobbyismus oder Gerechtigkeit?

In der Öffentlichkeit erwecken Attac & Co. den Eindruck inhaltlicher Homogenität. Tatsächlich jedoch ist die globalisierungskritische Bewegung äußerst heterogen

Die einen wollen den Lebensstandard in Europa verteidigen, die anderen Umverteilung weltweit

Seattle – das war der große Durchbruch der Kritiker der Globalisierung weltweit. „The battle of Seattle“ ging ein in die Analen der politischen Gegenbewegungen als die Geburtsstunde eines neuen, überwältigenden Bündnisses unterschiedlichster Gruppen. Konservative Gewerkschafter demonstrierten Seit an Seit mit linken Studenten, christlich orientierte Entwicklungsverbände verbündeten sich mit radikalen Umweltschützern. Was zählte, war der gemeinsame Feind – in diesem Falle die Welthandelsorganisation WTO.

Seattle – das ist gut dreieinhalb Jahre her. Seitdem agieren die unterschiedlichen Gruppen unter dem gemeinsamen Label der Globalisierungskritik oder, um ein konkretes Bündnis zu nehmen, unter dem Dach von Attac. Sie mobilisieren gemeinsam zu Konferenzen, zu Gegengipfeln, zu Sozialforen, zu Demonstrationen. Zuletzt gingen gestern aus Protest gegen den G-8-Gipfel im französischen Evian wieder viele tausend Demonstranten auf die Straße.

Doch über den Aufwind, den die Bewegung seit Seattle spürt, sind die inneren Differenzen zu sehr in den Hintergrund geraten. Auf Demonstrationen und gemeinsamen Veranstaltungen wird lieber eine eine Homogenität suggeriert, die in Wirklichkeit nicht existiert. Dazu tragen auch die Medien bei, die der Einfachkeit halber von „den Globalisierungskritikern“ berichten. Das verschleiert: Unter dem Namen von Bündnissen wie Attac vereinen sich verschiedenste Gruppen, die völlig unterschiedliche Anliegen haben.

„Na und?“, würden die Attaquies jetzt sagen, „das machen wir doch ganz bewusst so.“ Schließlich versteht man sich als lockeres Bündnis. Dieses Nebeneinanderher geht jedoch nur so lange gut, wie die Ziele der einzelnen globalisierungskritischen Gruppen zwar verschieden sind, aber nicht miteinander kollidieren. Letzteres war aber schon in Seattle der Fall, und derzeit wird es an der Debatte um das Dienstleistungsabkommen Gats wieder deutlich. Es ist ein Konflikt zwischen den Vertretern eigener Interessen und den Fürsprechern derjenigen, die sich bisher kaum durchsetzen konnten. Ein Konflikt vielleicht zwischen Lobbyismus und Altruismus. Es ist ein Konflikt zwischen Gewerkschaften aus Europa und den USA und den Vertretern der Entwicklungsländer.

Als die Arbeitsnehmerorganisationen 1999 in Seattle gemeinsam mit Entwicklungsverbänden gegen die WTO auf die Straße zogen, forderten die einen jeweils das Gegenteil von dem, was die anderen wollten: Die Gewerkschaften traten für Sozialstandards ein, wollten verhindern, dass billige Waren aus anderen Ländern das hohe heimische Lohnniveau gefährden. Vertreter von Entwicklungsländern fordern aber genau dies: Dass die billiger hergestellten Waren in den Ländern des Südens endlich auch in die reichen Industrieländer exportiert werden dürfen. Dieser Zielkonflikt zeigt sich an der Frage: Wollen wir unseren hohen Lebensstandard in Europa verteidigen – oder wollen wir eine stärkere Verteilung der weltweiten Einkommen zwischen Nord und Süd zugunsten des Südens?

Stellt man diese Frage Herrn (oder Frau) Mustermann von Attac, so lautet die Antwort: „Wir wollen eine Umverteilung von oben nach unten.“ Diese Antwort, können alle unterschreiben – aber sie weicht dem Konflikt aus: Es gibt zwei Fraktionen unter den Globalisierungskritikern. Die eine will den Lebensstandard verteidigen, die andere eine Umverteilung des Wohlstands von Nord nach Süd.

In den vergangenen zwei Jahren traten die Gewerkschaften zusammen mit Attac auch in Deutschland verstärkt als Globalisierungskritiker auf. Solange sich die Themen auf die Innenpolitik beschränkten – wie der Prostest gegen die Gesundheitsreform und gegen die Privatisierung der Rente –, hat das auch funktioniert. Doch zur Zeit engagieren sie sich beim Protest gegen das Dienstleistungsabkommen Gats, das die WTO verhandelt. So vehement ist ihr Protest, dass er in Deutschland als einzige Position aus der Zivilgesellschaft zu diesem wichtigen Thema wahrgenommen wird.

Hier nun müssten die Differenzen eigentlich offen zutage treten – doch bei Attac ist man auf einem Auge ziemlich blind und nimmt mit dem anderen nur die Position der Gewerkschaften wahr. Es geht um den Streit um befristete Arbeitsverträge für ausländische Dienstleister. Das blinde Auge müsste hier eigentlich sehen, dass die Entwicklungsländer als Anbieter billiger Dienstleistungen einen ihrer wenigen Wettbewerbsvorteile in der Welthandelsrunde überhaupt haben.

Die Gewerkschaften fürchten aber die billigere Konkurrenz aus dem ärmeren Ausland und sind gegen befristete Arbeitsverträge – es sei denn, zu hiesigen Bedingungen. Das jedoch würde den ausländischen Wettbewerbsvorteil zunichte machen. Attac schließt sich dem an und konzentriert sich ansonsten lieber auf andere Aspekte des Abkommens wie die Privatisierung der Wasserversorgung.

Unter dem Dach von Attac vereinen sich Gruppen, die völlig unterschiedliche Anliegen haben

Aus drei Gründen übernehmen die Globalisierungskritiker unkritisch und ohne öffentliche Diskussion die Position der Gewerkschaften: Erstens soll die gerade erst erfolgte Annäherung zwischen Vertretern der Arbeitnehmer und Attac – man könnte auch sagen: zwischen Arbeiterklasse und Studierten – nicht gleich wieder gefährdet werden. Zweitens sind die eher „intellektuellen“ Attaquies und Co. persönlich viel weniger betroffen: Ihre akademischen Jobs als Soziologen, Lehrer oder Journalisten können nicht so schnell von ausländischen Billigarbeitern übernommen werden. Nicht sie wären die Verlierer eines stärkeren Wettbewerbs mit ausländischen Arbeitnehmern, sondern vor allem Arbeiter und einfache Angestellte.

Und drittens: Die Antwort ist einfach verdammt schwer – wer möchte sich schon für niedrigere Löhne, schlechtere Sozialstandards oder höhere Arbeitslosigkeit einsetzen? „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust“, fasst ein Attac-Mitarbeiter das Dilemma zusammen. Folglich bleibt die Attac-Position schwammig: Mehr Chancen für die Entwicklungländer, ja. Aber Hände weg von Tariflöhnen, Kündigungschutz und Sozialversicherungen.

So schwer es auch fällt: Die globalisierungkritischen Gruppen müssen sich dieser Glaubensfrage stellen, wenn sie glaubwürdig bleiben wollen. Das muss nicht unbedingt heißen, dass Entwicklungsverbände und Gewerkschaften nicht unter einem Dach bleiben können. Womöglich können sie ihre Zusammenarbeit auf Bereiche beschränken, wo Gemeinsamkeiten bestehen. Dazu gehört alles, was sich mit Umverteilung im eigenen Land beschäftigt, zum Beispiel die Forderung nach Vermögens- und Erbschaftssteuer. Dazu gehört auch das Bestreben, die Spekulation mit Kapital einzudämmen, etwa durch die Tobin-Steuer. Vielleicht aber kommen Globalisierungskritiker und Gewerkschafter auch zu einem anderen Schluss: Interessenvertretung für eine bestimmten Gruppe und der Kampf für eine bessere Verteilung weltweit – das passt einfach nicht zusammen. KATHARINA KOUFEN