Null-Reform zum Null-Tarif

Kita-Lenkungsgruppe legt Empfehlungen vor: Abschaffung der Prioritätenliste, dafür Vollversorgung aller berufstätigen Eltern. Kein Kita-Platz für Kinder unter zwei Jahren. Träger sollen 50 Millionen Euro einsparen, Eltern höhere Beiträge zahlen

von KAIJA KUTTER

In der Kita-Politik haben sich gestern die Ereignisse überschlagen. Am Mittag trafen sich die Zweite Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) und SPD-Landeschef Olaf Scholz und vereinbarten, schon ab heute über eine gemeinsame Kita-Reform zu verhandeln. Zeitgleich erklärte Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU), dass es in 2004 keinen zusätzlichen Cent für die Kitas geben soll. Und am Nachmittag wurde endlich der seit zwei Monaten überfällige Bericht der behördenübergreifenden Kita-Lenkungsgruppe veröffentlicht, aus dem hervorgeht, wie sich der Senat eine Kita-Reform zum Nulltarif vorstellt.

Die Lenkungsgruppe geht von einem Erfolg des Kita-Volksbegehrens aus. Alternativ zum alten Kita-Gutscheinsystem schlägt sie deshalb eine Abschaffung der sieben Prioritäten vor. Stattdessen soll es nur Priorität 1 für den „dringenden sozialen Bedarf“ und Priorität 2 für alle Kinder berufstätiger Eltern von 0 bis 14 Jahren geben. Damit wäre eine Kernforderung des Volksbegehrens erfüllt. Priorität 3 für Sprachförderung entfällt, stattdessen soll es den Rechtsanspruch von fünf Stunden für alle Drei- bis Sechsjährigen ab August nächsten Jahres geben.

Insgesamt geht die Lenkungsgruppe von 352,4 Millionen Euro Kosten für 2005 aus, was die mittelfristige Ausgabenplanung um 84,4 Millionen Euro überschreitet. Damit dies auf Null reduziert wird, machen die Verfasser radikale Sparvorschläge. So soll es den Rechtsanspruch für Berufstätige nur geben, wenn es gelingt, die Kita-Träger mit 50 Millionen Euro zur Kasse zu bitten. Die Vereinbarungen zum Gutscheinsystem sollen spätestens zum 31. Dezember gekündigt werden. Parallel zu neuen Verhandlungen soll eine Rechtsverordnung schon mal neue und niedrigere Preise regeln. Um die Einsparungen zu erlangen, wird eine Erzieherausstattung auf Mindestniveau oder aber dem „Niveau vor der Systemumstellung“ erwogen. Außerdem sollen Kitas ihren Putzfrauen kündigen und von Firmen reinigen lassen.

Eine ganz schlechte Botschaft enthält der Bericht für die Krippen. Da Tagesmütter und -väter angeblich die „fachlich bessere Alternative“ sind, sollen Kinder unter zwei Jahren nur von diesen betreut werden und keinen Krippenplatz bekommen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn keine Tagesmütter zur Verfügung steht. Allein diese Maßnahme soll 29 Millionen Euro sparen.

Neu geregelt werden sollen auch die Elternbeiträge. Während die Tagespflege billiger werden soll, soll die Krippe für Dreijährige verteuert werden. Auch die per Rechtsanspruch gewährte 5. Betreuungsstunde soll gegenüber der vierstündigen Betreuung spürbar mehr kosten. Vermiest werden soll den Eltern offenbar die Inanspruchnahme einer warmen Mahlzeit für die Kinder. So sollen sie dafür einen Extra-Gutschein erhalten, der die Kosten nicht voll abdeckt und zu Nachverhandlungen mit den Trägern zwingt.

Eine radikale Reform schlägt die Lenkungsgruppe für die Vorschulbildung vor. Hier sollen alternativ die Vorschulklassen abgeschafft oder aber die Betreuung Fünfjähriger in Kitas aufgegeben werden. Beide Angebote sollen entweder kostenfrei oder kostenpflichtig werden. Ganztagsplätze für Kinder mit Sprachförderbedarf soll es gar nicht mehr geben. Stattdessen soll im Rahmen der Vormittagsbetreuung die Förderung verbessert werden.

Das Gutscheinsystem als Finanzierungsprinzip wird nicht in Frage gestellt und dafür auf nicht näher benannte „Erfahrungen“ im europäischen Ausland verwiesen. Die Idee von Kritikern, den Bezirken die Budgets und somit die Feinsteuerung zu übertragen, wird nur in einer Mini-Variante angedacht. So sollen die sieben Bezirke einen Extra-Topf von fünf Millionen Euro für die bislang gar nicht bedachten „sonstigen“ sozialen und pädagogischen Bedarfe erhalten.

Tragikomische Elemente weist der Bericht in der Schwachstellenanalyse auf. Das Chaos sei entstanden, weil es vor der Systemeinführung keine „belastbaren Berechnungen“ über Mehrkosten und deren Kompensation gab. Und es wird darauf hingewiesen, dass das „zentrale Know-how“ durch die Pensionierung des zuständigen Amtsleiters im März 2003 „nicht vertretbar“ verloren ging.