Nordrhein-Westfalens SPD in Berlin: Ohren zu und weg

Die Agenda fast schon abgehakt, machen sich einige Sozialdemokraten ganz andere Sorgen. Sie befürchten, dass die rot-grüne Krise in Düsseldorf Auswirkungen auf Berlin hat

BERLIN taz ■ Als Politiker muss man auch mal weghören können. Harald Schartau kann das richtig gut. Was er denn von den Mahnungen der Genossen halte, die Nordrhein-Westfalen sollten ihren Koalitionsstreit mit den Grünen bitte schnell beilegen? Mahnungen? „Ich habe nichts gehört.“ Hmm. Vielleicht war der NRW-Landeschef einfach immer dann abwesend, als andere Politiker auf dem SPD-Parteitag über Nordrhein-Westfalen sprachen. Ein Kunststück, denn solche Momente gab es viele. Vor und hinter den Kulissen.

„Hört auf mit den Spielen in Nordrhein-Westfalen, wir brauchen die rot-grüne Koalition!“, rief Bundestagsfraktionsvize Michael Müller, selbst aus NRW, am Rednerpult. Auch der frühere Parteichef und Grandseigneur Hans-Jochen Vogel hatte eine „dringende Bitte“, die kaum zu überhören war. „Überlegt euch gut, was ihr da tut“, mahnte er die Düsseldorfer. „Es ist für die Sozialdemokratie von entscheidender Bedeutung.“

Schartau ficht das nicht an. Er hat ja nichts gehört. Und Mahnungen an ihn oder an Ministerpräsident Peer Steinbrück hätten sowieso keinen Sinn, so Schartau zur taz: „Wir lassen uns von keinem sagen, was wir machen sollen.“ Auch ein Treffen Steinbrücks mit der NRW-Landesgruppe wurde abgesagt.

Und so geht es weiter, das Gemurmel über die rot-grüne Koalitionskrise. Viele Sozialdemokraten in Berlin machten sich gestern viel mehr Sorgen um NRW als um den eigentlichen Tagesordnungspunkt. Was hilft die ganze Agenda 2010, was hilft der mühsam hergestellte Friede auf dem Parteitag, wenn Rot-Grün im größten Bundesland zerbricht?

„Es ist ganz klar, dass diese Diskussion dann nach Berlin überschwappt“, murmelt zum Beispiel der bayerische SPD-Vorsitzende Wolfgang Hoderlein, und korrigiert sich. „Es ist ja schon passiert.“ Sein Kollege Ludwig Stiegler, Chef der bayerischen SPD-Bundestagsabgeordneten, murmelt nicht, er schimpft. „Ein überzogener Scheiß“ sei das, diese Koalitionskrise in Nordrhein-Westfalen.

Gerhard Schröder dürfte ähnlich denken. Im SPD-Präsidium sagte er gestern etwas dezenter, es gebe „intensive Versuche“, das Ende der rot-grünen Koalition im Bund herbeizureden. Er werde nicht zulassen, dass die Debatte aus Düsseldorf nach Berlin getragen werde. Jeder Versuch, eine Koalitionsdebatte in Berlin zu führen, werde „nicht fruchten“. So weit der Wunsch des Kanzlers in der Funktionärsrunde. Öffentlich ging Schröder auf die Krise in NRW nicht ein – es hätte das Gemurmel nur verstärkt.

Schleswig-Holsteins Exlandeschef Willi Piecyk hat den „zarten Hinweis“ in der Kanzlerrede auch so verstanden. Dass Schröder die Gemeinsamkeiten mit den Grünen so deutlich hervorhob (Ökologie, Nachhaltigkeit, Zuwanderung), „das hätte er so nicht gesagt, wenn es die Krise in NRW nicht geben würde“, glaubt Piecyk. Dass Schröder auch die Genossen in Kiel meinte, kann sich Piecyk dagegen „nicht vorstellen“. Wirklich nicht? Auch aus Schleswig-Holstein wurde über Absatzbewegungen innerhalb der SPD weg von den Grünen, hin zur CDU berichtet. Von gemütlichen Spargelessen zwischen Sozial- und Christdemokraten war die Rede. „Alles Tünkram“, sagt der ehemalige Landesparteichef. Einige in CDU und SPD hätten nur ihren „gemeinsamen Ärger ertränkt“, weil sich die Grünen bei der geplatzten Diätenerhöhung im Kieler Landtag „als die besseren Menschen präsentiert“ hätten. Er könne „Brief und Siegel darauf geben“, dass Rot-Grün in Schleswig-Holstein halte, so Piecyk. Na, immerhin. Doch was der ehemalige Kieler Minister Steinbrück in NRW wirklich vorhat? „Der ist unberechenbar.“

Nur der bayerische SPD-Chef gibt sich gelassen. Folgen für seinen Landtagswahlkampf im September befürchtet Hoderlein nicht: „Die Bayern wissen eh nicht, was eine Koalition ist.“

LUKAS WALLRAFF