Kopf an Kopf der Großkopferten

Bei den Präsidentschaftswahlen in Algerien hat Amtsinhaber Bouteflika mit Expremier Benflis einen ernsten Herausforderer. Beide stammen aus der Einheitspartei FLN. Das Militär ist gespalten, und der Staatschef liebäugelt mit den Islamisten

VON REINER WANDLER

Das ist neu für die Algerier. Wenn sie am Donnerstag an die Wahlurnen schreiten, um den Präsidenten zu wählen, steht das Ergebnis erstmals in der Geschichte der Unabhängigkeit des Landes nicht von vornherein fest. Unter den sechs Kandidaten ziehen zwei Giganten in den Ring. Beide kommen sie aus der ehemaligen Einheitspartei FLN und beide können sie mit der Unterstützung eines Teiles des übermächtigen Militär- und Staatsapparates rechnen.

Abdelasis Bouteflika (67) ist der seit 1999 amtierende Staatschef, sein ehemaliger Wahlkampfkoordinator, Kabinettschef und späterer Premierminister Ali Benflis (60) der Herausforderer. Daneben bewirbt sich mit Louisa Hanoune, Vorsitzende der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT), erstmals eine Frau um den Einzug in den Präsidentenpalast. Mit Abdallah Dschaballah kandidiert ein Islamist. Said Sadi kommt von der Berberpartei RCD und der unbekannte Ali-Fawzi Rebaine vertritt eine kleine nationalistische Formation.

Präsident Bouteflika muss beim ersten Wahlgang gewinnen, will er nicht Gefahr laufen, dass sich bei einer zweiten Runde alle anderen Strömungen gegen ihn zusammenschließen. Bei den Wahlkampfveranstaltungen zieht er die Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit. Bouteflikas wichtigster Pluspunkt ist der Rückgang der Gewalt. Starben in Algerien vor fünf Jahren noch mehrere 100 Menschen pro Monat, sind es heute kaum mehr als ein Dutzend.

Bouteflika drängte den radikalen Islamismus zurück. Zum einen gelang es ihm mit seinem Programm der „zivilen Einheit“, tausende von Untergrundkämpfern zum Niederlegen der Waffen zu bewegen, unter ihnen die gesamte Armee des Islamischen Heils, der bewaffnete Arm der 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS). Zum anderen ging die Armee gegen die noch verblieben Gruppen hart vor.

Benflis, ehemals Menschenrechtsanwalt, kritisiert Bouteflika im Wahlkampf immer wieder als „autoritär“. Er nennt ihn „Pharao“ oder gar „Faschisten“. Benflis, der als Generalsekretär der FLN die ehemalige Einheitspartei zum Sieg bei den Parlaments- und bei den Regional- und Kommunalwahlen führte, verspricht eine Demokratisierung. Dieser Diskurs richtet sich vor allem an seine Partei selbst. Denn Bouteflika erreichte mit Hilfe einiger Getreuer, die Aktivitäten der FLN per Gerichtsbescheid aussetzen zu lassen. Die Partei hatte zuvor Benflis zum Kandidaten gekürt. Angebliche Verfahrensfehler mussten herhalten, um Kongress und Parteiorgane für unrechtmäßig zu befinden und anzuordnen, die Aktivitäten der Partei einzustellen.

Der entscheidende ideologische Unterschied zwischen Bouteflika und Benflis liegt in der Wirtschaftspolitik. Während Bouteflika auf die Privatisierung bis hin zur Erdölindustrie setzt, verspricht Benflis einen sozial abgefederten Übergang zur völligen Marktwirtschaft. Algerien weist eine Arbeitslosenquote von über 30 Prozent auf. Jeder zweite Algerier unter dreißig ist ohne Arbeit.

Hinter dem Konflikt zweier FLN-Männer verbirgt sich eine Auseinandersetzung in der Armee. Viele Generäle fühlen sich vom Präsidenten bevormundet und übergangen. Sie setzen auf einen Wechsel und damit auf Benflis, während ein anderer Teil noch immer Bouteflika unterstützt. Wegen dieses Streits hat die „große Stumme“, wie der Volksmund die Armee nennt, ihr Schweigen gebrochen und erklärt, sich nicht in die Wahlen einmischen zu wollen. Die Generäle hatten in der Vergangenheit sowohl Bouteflika als auch dessen Vorgänger Liamine Zeroual unterstützt.

Um es im ersten Anlauf zu schaffen, buhlt Bouteflika um die Wählerschaft der FIS. Vor ihrem Verbot 1992 erzielte die islamistische Formation 3,5 Millionen Stimmen. Bouteflika richtete vor wenigen Monaten eine Kommission ein, die sich um das Schicksal der 4.000 bis 7.000 unter der Repression Verschwundenen kümmern soll. Außerdem legte er bei einem Besuch im Iran demonstrativ einen Kranz am Grabe von Ajatollah Chomeini nieder. Doch trotz aller Gesten sind sich die Führer der FIS nicht einig. Der vor zehn Monaten freigelassene ehemalige Vorsitzende Abassi Madani ruft zum Boykott, während die in Deutschland ansässige Auslandsleitung der verbotenen Partei zur Wahl von Bouteflika rät.