Kein Geld für Gerechtigkeit

Die Kunstsammlungen Böttcherstraße kennen ihre Probleme mit im Nationalsozialismus erworbenen Objekten. Aber es fehlen die finanziellen Mittel, angemessen zu reagieren

VON HENNING BLEYL

Bei 474 ihrer Kunstobjekte haben die Kunstsammlungen Böttcherstraße kürzlich eine möglicherweise „bedenkliche“ Herkunft festgestellt. Mindestens 155 Gemälde und Gegenstände hat der deutschnational eingestellte Mäzen Ludwig Roselius nach 1933 in seinen Besitz gebracht, bei 319 Objekten ist das Erwerbsdatum unbekannt – und bei dreien steht zweifelsfrei fest, dass sie der jüdische Industrielle Ottmar Strauss versteigern lassen musste, um damit seine „Reichsfluchtsteuer“ bezahlen zu können. Derzeit allerdings stocken die Verhandlungen über die Restitution der beiden mittelalterlichen Alabasterreliefs und eines Glasfensters.

In der Sache sind sich Museum und die Anwälte der Erben einig: Für eine Zahlung von rund 50.000 Euro könnten die Objekte in der Sammlung bleiben, die wertvollen Marien-Reliefs waren bislang Teil der Dauerausstellung. „Wir versuchen eine gemischte Finanzierung mit privater und öffentlicher Beteiligung“, sagt Museums-Sprecherin Uta Schlott. Bislang jedoch gebe es keinerlei entsprechenden Signale aus dem Kulturressort.

„Wir haben noch keine Lösung gefunden“, bestätigt Ressort-Sprecher Heiner Stahn. Immerhin hatte es das Ressort mit 8.500 Euro ermöglicht, dass sich die Böttcherstraße mit Hilfe einer Provenienz-Foschungskraft einen Überblick über mögliche Problemfälle verschaffte.

Der Bremer Fall hat durchaus Modell-Charakter. Er verweist einerseits auf die jahrzehntelange Untätigkeit der Museen, aber auch auf die unter einer neuen Generation von DirektorInnen einsetzenden Aktivitäten. Die Süddeutsche befasste sich kürzlich eingehend mit den hiesigen Aufklärungsbemühungen und selbst der Kulturstaatsminister im fernen Berlin – sonst eher bemüht, nicht gar zu viel als Bremer in Erscheinung zu treten – stellte in seiner großen Raubkunst-Rede von vergangener Woche die Kunstsammlungen Böttcherstraße als Beispiel ebenso konsequenter wie drängender Provenienzforschung heraus. Bernd Neumann: „Die Restitution duldet keine Verzögerung und Vertagung. Wir sprechen über Kulturgüter, doch eigentlich geht es um die Schicksale von Menschen, die Identität von Familien und auch um die Endlichkeit des Lebens.“

Ulrich Strauss, der letzte noch lebende Sohn des Sammlers, lebt als 88-Jähriger in Los Angeles. Schon mit Otto Wolff von Amerongen, bekannt als langjähriger Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, musste er jahrelang um die Rückübereignung eines winzigen Bruchteils des immensen Strauss-Vermögens ringen: Die Väter der beiden waren Kompagnons, Otto Wolff profitierte substantiell von der Arisierung des gemeinsamen Großunternehmens.

In der Böttcherstraße steht man derweil vor der umfangreichen und schwierigen Aufgabe, Genaueres über die Herkunft der 474 übrigen „bedenklichen“ Objekte zu erforschen. Mit „Bordmitteln“ sei das kaum zu leisten, sagt Direktor Rainer Stamm, da umfangreiche Vor-Ort- und Archivrecherchen notwendig seien. Insofern befindet sich das Haus – auch das ist prototypisch – in einem moralischen Dilemma: Auch für die Provenienzforschung stünden derzeit keine weiteren Mittel in Aussicht.