Der Mut der Mathematiker

Der Fußball-Regionalligist Holstein Kiel will in drei, vier Jahren im Profifussball mitmischen. Dafür haben die Kieler nun Ex-Hertha-Coach Falko Götz engagiert – und Peter Vollmann entlassen, nachdem dieser Herbstmeister geworden ist

Der Präsident von Holstein Kiel, Roland Reime, kommt aus der Versicherungsbranche. Von März 1992 an war er Mitglied des Vorstandes der Provinzial Nord Versicherungsgruppe, ab 1999 deren Vorsitzender. Im Juli 2006 hörte Reime aus gesundheitlichen Gründen auf. In seine Amtszeit fiel die Fusion der Provinzial Versicherungen von Münster und Kiel zur Provinzial Nordwest Holding AG. Einsparungen in Höhe von 50 Millionen Euro, 340 Arbeitsplätze wegrationalisiert. Die Gewerkschaft verhinderte, dass Reime neben dem Job des Vorsitzenden auch noch den des Arbeitsdirektors der Holding bekam.

Reime hatte immer Ambitionen im Sport. Von 1988 bis 1991 war er Verwaltungsrat bei Preußen Münster, in Kiel Beiratsvorsitzender des THW Kiel, dessen Hauptsponsor die Provinzial war. Beim THW hörte Reime auf, um im Juni 2007 beim Fußball-Regionalligisten Holstein Kiel Präsident zu werden.

Reime hat „die feste Überzeugung, dass Schleswig-Holstein einen Vertreter im Profifußball haben sollte“. Infrastruktur und Rahmenbedingungen seien da. Nur die Flutlichtanlage muss aufgerüstet werden. Zwei Millionen Euro werden ins Nachwuchsleistungszentrum gesteckt, „das ist nicht selbstverständlich für die vierte Liga“.

Nun hat Reime wieder jemanden entlassen. Seinen Trainer Peter Vollmann, 50, an einem Montag, nachdem Vollmann mit einem 3 : 1-Sieg über den VfL Lübeck Herbstmeister geworden war. „Das ist mir nicht leicht gefallen“, sagt Reime, „das war ein sehr schweres Gespräch.“ Für Entlassungen gäbe es nur schlechte Zeitpunkte, „aber von allen schlechten Zeitpunkten, war das der beste“.

Mit Beginn der Vorbereitung auf die Rückrunde wird Falko Götz die Arbeit aufnehmen. Götz war als Trainer von 1997 bis Februar 2002 in der Amateur-und Jugendabteilung von Hertha BSC Berlin tätig. In der Rückrunde der Saison 2001 / 02 trainierte er die Profis. Von März 2003 bis April 2004 trainierte er den TSV 1860 München, wo er kurz vor dem Abstieg gehen musste.

Ab Juli 2004 war er Cheftrainer von Hertha. Am 10. April 2007 wurden Götz und Co-Trainer Andreas Thom wegen Erfolglosigkeit entlassen. Götz hatte Zoff mit den Jungprofis Kevin-Prince und Jérome Boateng, Ashkan Dejagah, Christopher Samba, Solomon Okoronkwo, die Hertha verließen.

Die Fähigkeit, mit jungen Spielern zu arbeiten, war einer von Reimes Gründen, Götz bis 2012 zu engagieren. Reime konzediert Ex-Trainer Vollmann „gute Arbeit. Er war ein Cheftrainer, der sich um die erste Mannschaft gekümmert hat, aber ein solches Zukunftsprojekt zu kommunizieren, zu führen, zu verantworten, durchzusetzen, dazu waren, so unsere Überzeugung, andere personelle Voraussetzungen nötig.“

In dieser, spätestens der nächsten Saison solle der Aufstieg in die Dritte Liga erfolgen, im Jahr 2012 oder ein Jahr später der Aufstieg in die Zweite Liga, sagt Reime. Kiel war 1912 Deutscher Meister, hundert Jahre später Profifußball, das würde passen. „Seit 30 Jahren gab es hier keine sportlichen Erfolge mehr“, sagt Reime. Der Zuschauerschnitt liegt bei 2.700. „Ordentlich“, findet Reime, der „fehlende Fankultur“ beklagt.

Das Geld, mit dem nicht nur Götz und Thom bezahlt, sondern auch Spieler verpflichtet werden sollen, stammt von der ausgelagerten Holstein Kiel Marketing GmbH & Co KG. Kiel bekam es bei der Rückführung in den Club als Spende.

Reime lobt den Mut von Götz und den eigenen. Er kommt aus einer Branche, die viel mit Mathematik zu tun hat, und ahnt, dass man im Fußball wenig berechnen kann. Das meint er, wenn er von Mut spricht.

ROGER REPPLINGER