sozialdemokraten
: Keine Sehnsucht nach Opposition

Gerhard Schröder hat eine Hürde genommen – den Hindernislauf hat er noch nicht bewältigt. Hätten die Delegierten des SPD-Sonderparteitags seinem Programm die Zustimmung verweigert oder dessen Kernaussagen substanziell verändert, dann wäre der Rücktritt des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers unausweichlich gewesen. Schröder selbst hat gestern – ein weiteres Mal – seine persönliche Zukunft unauflöslich mit dem Schicksal der Agenda 2010 verknüpft. Vor diesem Hintergrund ist der Ausgang des Sonderparteitags nicht überraschend. Erstaunlich ist vielmehr, wie groß die Minderheit war, die trotz dieser dramatischen Kulisse auf weitreichenden Änderungen des so genannten Reformprogramms bestehen wollte.

Kommentar von BETTINA GAUS

Anhänger des politischen Kurses von Gerhard Schröder können jetzt zu Recht darauf verweisen, dass der SPD-Parteitag dem Kurs des Bundeskanzlers seinen Segen erteilt hat. Mit diesem Argument lässt sich moralischer Druck auf jene sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten ausüben, die Teilen der Agenda 2010 nicht zustimmen können oder wollen.

Der Parteitag hat dem Kanzler also erwartungsgemäß den Rücken gestärkt. Aber die Frage ist weiterhin unbeantwortet, ob er jetzt stark genug ist, auch im Bundestag die Gefolgschaft der gesamten Fraktion zu erzwingen. Denn die Dissidenten blieben zwar erfolglos, als radikale Sektierer aber können sie spätestens seit gestern nicht mehr abgestempelt werden. Dafür war die Kritik an Details der Agenda allzu breit gestreut.

Die Sozialdemokraten haben sich auf ihrem Sonderparteitag den Wünschen der Regierung gebeugt. Sie haben klar zu erkennen gegeben, dass sie keine Sehnsucht nach der Opposition verspüren. Aber das Unbehagen in der Partei besteht weiter, und es ist groß. Wie groß, das zeigte sich auch am lebhaften Applaus vieler Delegierter für die ungewöhnlich mitreißende Rede des Parteilinken Ottmar Schreiner.

Die SPD hat Gerhard Schröder gestern die von ihm geforderte Solidaritätsbekundung geliefert. In der Diskussion haben die Delegierten jedoch zugleich deutlich gemacht, dass sie weitere Zumutungen kaum widerstandslos hinnehmen werden. Wenn Gerhard Schröder den gesamten Hindernislauf absolvieren will, dann darf er sich in den nächsten Wochen keine Fehler mehr erlauben. Und er kann nur hoffen, dass ihm keine weiteren Hürden in Gestalt immer neuer ökonomischer Hiobsbotschaften in den Weg gelegt werden.