Schröder besiegt die SPD

SPD-Sonderparteitag in Berlin stimmt der Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder mit großer Mehrheit zu. Perspektivantrag vertagt die umstrittene Vermögensteuer auf die ferne Zukunft

BERLIN taz ■ Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich im Streit in der SPD über die Agenda 2010 auf ganzer Linie durchgesetzt. Der Sonderparteitag in Berlin stimmte nach strittiger Debatte mit großer Mehrheit für Schröders Reformprogramm, das tiefe Einschnitte ins Sozialsystem vorsieht. Nach Angaben des Parteitagspräsidiums votierten rund 90 Prozent der insgesamt 524 Delegierten für die Agenda – die offene Abstimmung machte jedoch eine genaue Auszählung des Ergebnisses unmöglich.

Der Kanzler und Parteichef bekannte anschließend, er habe eine so große Zustimmung zum Leitantrag „weder erwartet noch erhofft“. Er erwartet nun, dass sich die Kritiker in der SPD-Bundestagsfraktion hinter den Umbau des Sozialstaats stellen. Im Bundestag, wo über die einzelnen Gesetzesänderungen abgestimmt wird, dürfe nicht „gewackelt“ werden, sagte der Kanzler. Er bedankte sich ausdrücklich bei den früheren Parteigrößen Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler, die sich auf dem Parteitag hinter den Reformkurs des Kanzlers gestellt hatten.

Um die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Neuregelung des Krankengeldes hatte es auf dem Parteitag zuvor Kampfabstimmungen gegeben. Eine große Mehrheit lehnte die Forderungen der Parteilinken und des Gewerkschaftsflügels ab. Die Übergangslösung beim Arbeitslosengeld für über 55-Jährige wird nicht erweitert. Die Zahlung von Arbeitslosengeld wird auf 12 beziehungsweise 18 Monate deutlich verkürzt. Im Leitantrag des Parteitages ist dazu eine mehr als zweijährige Übergangsfrist vorgesehen. Beim Krankengeld müssen sich die Arbeitnehmer künftig allein absichern. Der Arbeitgeberanteil entfällt.

Auch der so genannte Perspektivantrag wurde bei nur wenigen Gegenstimmen gebilligt. Damit werden die Sozialreformen der Agenda in ein längerfristiges Wachstumskonzept eingebettet. Darüber soll der nächste ordentliche Parteitag im November abschließend entscheiden. Die Forderung der Parteilinken nach Wiedereinführung der Vermögensteuer wurde darin in abgemilderter Form aufgegriffen. Auf der Grundlage des Bundesverfassungsgerichts-Urteils sei „sicherzustellen“, dass „große Einkommen und Vermögen in ausreichender Weise ihren gerechten Beitrag für die Sicherung der Zukunft unserer Gesellschaft leisten“.

In einer wenig mitreißenden Rede hatte Schröder zu Beginn des Parteitags die SPD zur Erneuerung aufgefordert. Es gehe nicht um einen Abschied von sozialdemokratischen Werten, sondern um die Modernisierung Deutschlands im Interesse künftiger Generationen, sagte er. Es müsse einen „Mentalitätswechsel“ geben. Die Agenda markiere eine „wirkliche politische Zäsur“.

Schröder erhielt für seine Rede nur zweieinhalbminütigen höflichen Applaus. Die Gegner der Agenda hingegen ernteten für ihre scharfe Kritik starken Beifall von einem Teil der Delegierten. Die Parteilinken räumten in ihren Reden die Notwendigkeit von Reformen ein. Sie verlangten aber mehr soziale Ausgewogenheit. Das Vorstandsmitglied Andrea Nahles kündigte weiteren Widerstand an: „Die SPD ist kein Nickdackel, der immer nur nickt.“ JENS KÖNIG

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