Eine Schule für alle

Handwerkskammer-Geschäftsführer Jürgen Hogeforster fordert eine neunjährige Grundschule. Experten kritisieren in einer Broschüre der GAL das neue Schulgesetz. Das Fazit der Fachleute: Dies ist die falsche Antwort auf PISA

von KAIJA KUTTER

Argumente haben bisher nicht viel geholfen: Fahrplangemäß wird morgen die Novellierung des Schulgesetzes die Bürgerschaft passieren. GAL-Schulpolitikerin Christa Goetsch versuchte es gestern trotzdem noch einmal, in dem sie einen „Reader“ veröffentlichte, in dem 15 Experten, darunter auch Ex-Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD), darlegen, dass das Gesetz – welches Noten vorschreibt, integrative Schulformen streicht und die Selektion an Gymnasien verstärkt – die „falsche Antwort“ auf PISA ist. Auf 40 Seiten eine argumentative Ohrfeige für Bildungssenator Rudolf Lange (FDP).

Neu ist, dass mit Handwerkskammer-Geschäftsführer Jürgen Hogeforster auch die Wirtschaft hier Partei ergreift. „Schulsysteme müssen fördernd statt selektiv ausgerichtet werden“, schreibt Hogeforster und fordert eine neunjährige Grundschule für alle Schüler, die erst im Anschluss ab Klasse zehn auf Lehre, Gymnasium oder ein neues berufliches Gymnasium aufgeteilt werden. Ein entsprechendes Modell hat der baden-württembergische Handwerkstag bereits verabschiedet. Am 2. Juli wird die Mitgliederversammlung der Hamburger Kammer darüber abstimmen.

Dass ausgerechnet das Handwerk mit dem dreigliedrigen Schulsystem hadert, liegt daran , dass es viel mit den Verlierern in Berührung kommt. 30 Prozent der Lehrstellen seien unbesetzt, weil „negative Erfahrungen wegen schlechter Vorbildung“ die Ausbildungsbereitschaft reduzierten, schreibt Hogeforster. Rund 15 Prozent der Lehrstellenbewerber seien gar „nicht vermittelbar“.

Das Leistungsniveau von Schülern im dreigliedrigen System sei „deutlich geringer“ als in Ländern ohne diese frühe Selektion, befindet der Kammer-Chef. Frühe Auslese wirke negativ, erlaube kein Lernen untereinander, fördere zu wenig Stärken und „verfestigt Schwächen“.

Die frühere Schulsenatorin Raab schreibt in ihrem Textbeitrag von einem regelrechten PISA-Irrtum. So habe Hamburg in den 90ern eine Reihe von Reformen gestartet, die sich mit den von der Kultusministerkonferenz benannten sieben Konsequenzen aus Pisa weitgehend deckten. Dank Halbtagsgrundschule, PLUS-Leseförderung und anderer Reformen habe ein Neuntklässler des PISA-Testjahrgangs 2000 insgesamt 972 Stunden weniger erhalten als ein Schüler, der Ende der 90er eingeschult wurde. Wollte man also die Wirksamkeit ihrer Reformen überprüfen, müsste man „wohl oder übel“ die Ergebnisse von PISA 2006 abwarten.

Die Elternvereinsvorsitzende Karin Medrow-Struß blieb dagegen gestern bei ihrer bereits bekannten Skepsis gegenüber „dieser ganzen Testerei“. Ihr Fazit: „Wenn die Koalition konservativ ans Bildungssystem ran will, dann tut sie das, egal welche Studien auf den Tisch kommen.“