Austoben als Schurkenstaat im Anzug

14 Nationen sind vereint, um auf dem Campus der International University Bremen in Grohn drei Tage lang UNO zu spielen

Bremen taz ■ Gestern entdeckte die US-amerikanische Armee endgültig eine Bombenwerkstatt für Massenvernichtungswaffen im Irak. Heute schossen israelische Soldaten planlos in eine Gruppe protestierender Pälästinenser. Und morgen wird in der Londoner U-Bahn eine Brandbombe hochgehen. Keine Bange – nichts davon ist wirklich passiert. Diese und ähnliche Horrorszenarien melden bloß die manipulierten BBC-Nachrichten, die sich die Grohner Spielleiter der Simulation „Model United Nations“ (MUN) ausgedacht haben, um für Zündstoff im simulierten Weltsicherheitsrat zu sorgen.

Seit Dienstag reden sich 166 Delgierte aus aller Welt auf dem Campus der IUB im UNO-Stil die Köpfe heiß – auf spielerische Art und Weise wollen sie so die Strukturen der Vereinten Nationen erkunden (taz berichtete). Al-Kaida-Anschläge in London gehören dabei zum Spiel. Echt aber sind die Schweißperlen auf der Stirn mancher Delegierten, echt ist die Leidenschaft, mit der Hände und Köpfe geschüttelt werden.

„Man steigert sich in seine Rolle“, beschreibt Pressesprecher Jan-Dirk Früchtenicht in schwarzem Anzug und mit futuristischem Handy in der Tasche seine eigenen Erfahrungen aus ähnlichen Spielen in den USA und Europa. Der IUB-Student tüftelte seit vergangenem September zusammen mit dreißig anderen MUN-begeisterten Kommilitonen am Konzept der ersten „Bremen International Model United Nations“.

Ungewöhnlich viele internationale Gäste sorgen hier für einen Hauch von Weltveranstaltung. Amerikanische Teilnehmer beeindruckt vor allem die Präsens von Frauen und Delegierten aus Entwicklungsländern in Grohn: „Bei uns nehmen bei solchen Planspielen meistens nur ‚male white students‘ teil“, erklärt Roman Solowski aus Illinois. Die prägen allerdings auch den simulierten Weltsicherheitsrat, nur vier Frauen sind vertreten. Das Komitee für Menschenrechte ist dafür traditionell deutlich in weiblicher Hand.

Organisiert haben die Studenten das Treffen in Eigenregie. „Mit einer kleinen vierstelligen Summe für Originalflaggen und Druckerpapier“, so Früchtenicht, half die IUB, den Campus für drei Tage als UNO-Hauptquartier zu verkleiden. Für Unterkunft und Verpflegung der Teilnehmer fiel eine Gebühr von nur dreißig Euro an, die Reisekosten der Delegierten wurden zum Teil von den entsendenden Unis gesponsort. Neben den internationalen Gästen aus Europa, Nordamerika und Afrika sind auch Schüler aus Aachen und dem Bremer Raum in Anzug und Kostümchen geschlüpft, um nach den echten UNO-Geschäfts- und Verhandlungsregeln in verschiedenen UN-Komitees über globale Probleme zu diskutieren.

„Uns war wichtig, dass die Teilnehmer dabei nicht ihr eigenes Land vertreten, sie sollen sich in eine neue Rolle denken“, erklärt Jan-Dirk Früchtenicht einen der Knackpunkte des Planspiels, das in den 50ern von amerikanischen Studenten entwickelt wurde. Roman Solowski reibt sich wegen dieser Regelung vergnügt die Hände: „Als Vertreter von Syrien kann ich im Weltsicherheitsrat Bushs Weltpolitik endlich mal so richtig niedermachen.“ Entsprechende Ausbrüche sorgen in dem ansonsten streng formalen Gremium immer wieder für Gelächter. Gerade Vertreter hierzulande ungebräuchlicher Staatssysteme neigen zu Selbstironie. So startet der China-Delegierte, eigentlich Schüler am Bremer Hermann Böhse-Gymnasium, sein Plädoyer mit den Worten: „Wir als tolerante und aufgeschlossene Nation...“ und erntete belustigte Blicke.

„Bierernst geht es bei diesen Planspielen sowieso selten zu,“ meint der Ire Colan Walsh, der für MUN-Vernstaltungen schon um die halbe Welt gereist ist. Besonders gefreut hat er sich einmal über die „Messenger-Girls“, Botenmädchen, die im Laufe von Sicherheitsratsverhandlungen dem irischen Charme erlagen und ihre Dienste fortan nicht mehr der gesamten Runde anboten – sondern nur noch den Jamaica-Delgierten. Das waren, na klar, Colan und seine Kumpel.

Dorothea Ahlemeyer