Das Ende eines Supersenators

Strieder war nicht nur der Architekt des rot-roten Senats, er war auch dessen Hypothek

AUS BERLIN UWE RADA

In den letzten Wochen und Monaten war sie wieder aufgetaucht, die Erinnerung an das alte Westberlin, seinen Filz und sein politisches Nachwendemodell: die große Koalition aus CDU und SPD.

Da waren Zuwendungen von Bauunternehmern an den SPD-Landesverband aufgetaucht, die nicht ordnungsgemäß verbucht wurden. Da ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung im Zusammenhang mit einem Kredit für das Pleiteprojekt „Tempodrom“ (siehe Kasten). Im Mittelpunkt des Westberliner Déja-vu: Peter Strieder, SPD-Landesvorsitzender, Supersenator und großzügiger Förderer der Veranstaltungsstätte Tempodrom.

Gestern nun ist Peter Strieder von allen seinen Ämtern zurückgetreten. Er werte dies „nicht als Schuldeingeständnis“, sagte der 51-Jährige kurz und knapp. Vielmehr wolle er mit diesem Schritt „weiteren Schaden von Berlin, meiner Partei und auch meiner Person abwenden“.

Es hatte sich abgezeichnet. Um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zu blockieren, hatte der Bundestag in der vergangenen Woche die Immunität Strieders aufgehoben. Urspünglich sollte er am 23. Mai in der Bundesversammlung über die Wahl des künftigen Bundespräsidenten mit bestimmen.

Bereits zuvor hatte der Berliner Senat das Tempodrom in die Insolvenz geschickt, in Abwesenheit des federführenden Senators, der zu diesem Zeitpunkt in Mexiko weilte. Auf die Frage, ob diese Entscheidung mit Strieder abgestimmt war, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit lapidar geantwortet: „Wir haben ihn nicht gefragt.“ Deutlicher hätte ein Misstrauensvotum aus den eigenen Reihen nicht ausfallen können.

Gleichwohl hatte Klaus Wowereit bis zuletzt am glücklosen und wegen seiner Arroganz unbeliebten Strieder festgehalten. Immerhin war es der damalige Stadtentwicklungssenator des Diepgen-Senats gewesen, der Wowereit 2001 den Weg ins höchste Amt der Stadt geebnet hatte. Strieder hatte nicht nur die CDU-SPD-Koalition im Streit um das Milliardendebakel bei der Berliner Bankgesellschaft platzen lassen. Er hatte auch seine eigenen Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs zurückgestellt. Wowereit dankte es ihm, indem er seinen politischen Weggefährten zusätzlich mit dem Amt des Bausenators bedachte. So war aus dem ehemaligen Volksbildungsstadtrat und bekennenden Schwulen Klaus Wowereit der Hausherr im Roten Rathaus und aus dem einstigen Arbeitsrichter und Kreuzberger Bürgermeister ein Berliner Supersenator geworden.

Peter Strieder freilich war nicht nur der Architekt des Bündnisses von SPD und PDS in der Hauptstadt, er war auch dessen Hypothek. Bereits bei seiner Wahl zum Supersenator im Januar 2002 fiel er im ersten Wahlgang durch. Bis heute ist nicht geklärt, ob einige PDS-Abgeordnete dem ungeliebten SPD-Politiker eins auswischen wollten, oder ob es Genossen aus der eigenen Reihe waren, die in Strieder den denkbar schlechtesten Botschafter für den vollmundig verkündeten „Mentalitätswechsel“ vermuteten. Schließlich hatte der ausgebuffte Machtmensch Strieder ein ums andere Mal bewiesen, dass ihm das eigene Fortkommen im Zweifel wichtiger war als ein tatsächlicher Politikwechsel. Bereits 1999 ließ er deshalb die ehemalige SPD-Finanzsenatorin und Haushaltssaniererin Annette Fugmann-Heesing über die Klinge springen.

Durch die Anschuldigungen an ihn, kommentierte Strieder gestern seine Entscheidung, „ist die Glaubwürdigkeit der Politik des Mentalitätswechsels, des sozial ausgewogenen Sparens und des Bruchs mit dem Stil der großen Koalition in Gefahr geraten“.

In Wirklichkeit war es Strieders Politik selbst, die diesen Vertrauensverlust bewirkte, auch in der eigenen Partei. Wochen vor der geplanten Wiederwahl als Landesvorsitzender der Hauptstadt-SPD im kommenden Juni hatte sich eine Anti-Strieder-Stimmung breit gemacht, die für den angeschlagenen Senator einem Zweifrontenkrieg gleichkam – auf der einen Seite die Staatsanwaltschaft, auf der andern das Parteivolk.

Anders als vor der letzten Wahl zum Parteivorsitz 1999, in der es Strieder noch gelang, die Parteibasis hinter sich zu zwingen, zeigte er diesmal Nerven. Seinen Gegenspieler und notorischen Unruhestifter Hans-Georg Lorenz nannte er in der Berliner „Abendschau“ gar einen Quartalsirren. Nachdem Lorenz angekündigt hatte, Strieder zu verklagen, machte der einen Rückzieher und entschuldigte sich. So sehen keine Führungsfiguren aus. Weder in der Parteiführung noch im Senat.

Zumindest Klaus Wowereit zeigte gestern Führungsstärke. Vom Rücktritt Strieders ganz offensichtlich überrascht, präsentierte der Regierende gestern Nachmittag bereits eine Nachfolgerin. Ingeborg Junge-Reyer, wie Strieder einmal Stadträtin in Kreuzberg und seit 2002 dessen Staatssekretärin, soll nun neue Akzente in der Berliner Bau-, Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik setzen. Damit scheint zumindest eins gesichert: die reibungslose Wahl der neuen Senatorin im Parlament. Anders als Strieder wird Junge-Reyer wegen ihres zurückhaltenden und moderierenden Politikstils anerkannt.

Ein weitgehender Neuanfang bleibt Wowereit allerdings versagt. Anders als in anderen Ländern verbietet die Berliner Landesverfassung dem Regierungschef eine freihändige Kabinettsumbildung. Berliner Senatoren werden vom Abgeordnetenhaus gewählt – und von diesem auch abgesetzt. Eine langwierige Prozedur und eine unsichere obendrein.

Aber auch so sehen sich CDU, Grüne und FDP im Aufwind. „Diese Senatskrise ist auch eine Regierungskrise des Regierenden Bürgermeisters“, erklärte der Vorsitzende der Berliner CDU-Fraktion, Nicolas Zimmer. Berlin habe in Zeiten der extremen Haushaltsnotlage eine Regierung, die „mehr mit sich selbst als mit den Problemen der Stadt beschäftigt ist“, meinten die Grünen. FDP-Fraktionschef Martin Lindner sagte mit Blick auf die Vetternwirtschaft zu Zeiten der großen Koalition aus CDU und SPD: „Mit dem Tempodrom-Skandal haben die Berliner eindrucksvoll mitbekommen, dass Rot-Rot keinesfalls für einen Mentalitätswechsel steht.“

Allzu früh darf sich aber auch die Berliner Opposition nicht freuen. Zwar liegt die Berliner SPD in der Wählergunst mit 21 Prozent derzeit tiefer denn je, und CDU (34 Prozent) sowie Grüne (19 Prozent) könnten komfortabel miteinander regieren. Doch die nächsten Wahlen finden erst 2006 statt – gleichzeitig mit den Bundestagswahlen. Nicht nur Gerhard Schröder, sondern auch Parteifreund Wowereit dürfte bis dahin noch eine Galgenfrist haben.

So gesehen hat sich Peter Strieder mit seinem gestrigen Rücktritt auch einen Vorsprung verschafft. Er kann sich nun, zwei Jahre vor seinen Kollegen im Senat, nach einem neuen Job umsehen. Und spätestens wenn er, wie der zurückgetretene brandenburgische Verkehrsminister Hartmut Meyer, einen Beratervertrag bei Hartmut Mehdorns Bahn bekommt, wird der Schatten des alten Westberlin wieder über der Berliner SPD liegen.