Mit Haftbefehl frei

Der angebliche Terrorhelfer Motassadeq ist auf Gerichtsbeschluss seit gestern nicht mehr in Haft

VON CHRISTIAN RATH

Die Richter machten es spannend. Nach dreitägigen Beratungen erklärte das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) gestern: Der angebliche Terrorhelfer Mounir al-Motassadeq wird aus der Haft entlassen und kann auf den neuen Prozess, der im Juni beginnt, zu Hause warten. Motassadeq muss sich allerdings zweimal in der Woche bei der Polizei melden und Wohnungswechsel anzeigen, er darf Hamburg nicht verlassen und erhält auch seinen Reisepass nicht zurück.

Nach Ansicht der Richter besteht wegen einer Beteiligung an den Terroranschlägen von New York und Washington nur noch einfacher Tatverdacht. Für eine Inhaftierung sei aber „dringender Tatverdacht“ erforderlich. Dennoch wurde der Haftbefehl gegen den 30-jährigen Marokkaner nicht aufgehoben, sondern nur ausgesetzt. Es bestehe noch dringender Tatverdacht wegen der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“.

Al-Motassadeq studierte in Hamburg-Harburg Elektrotechnik und gehörte zur Clique um den ägyptischen Todespiloten Mohammed Atta. Er war nach den Anschlägen nicht geflüchtet und saß seit November 2001 in deutscher Untersuchungshaft. Er soll die Angelegenheiten anderer Gruppenmitglieder verwaltet haben, während diese sich in Afghanistan und den USA aufhielten. Der Marokkaner räumte zwar „Freundschaftsdienste“ ein, will aber von den Anschlagsplänen nichts gewusst haben.

Dennoch verurteilte ihn das Oberlandesgericht Hamburg im Februar 2003 zu 15 Jahren Haft unter anderem wegen Beihilfe zum Mord in etwa 3.000 Fällen. Es ist bis heute die weltweit einzige Verurteilung im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001.

Der Bundesgerichtshof hat diese Verurteilung allerdings am 4. März dieses Jahres wieder aufgehoben. Die Karlsruher Richter kritisierten, dass das OLG einen falschen Maßstab für die Beweiswürdigung angelegt habe. Die belastenden Beweise hätten „besonders vorsichtig“ bewertet werden müssen, weil mit Ramsi Binalshibh (dem Cheflogistiker der Atta-Zelle) ein wichtiger Zeuge, von den USA zurückgehalten wurde und seine Verhörprotokolle von deutschen Behörden gesperrt wurden.

Die Karlsruher Richter ordneten einen neuen Prozess vor dem OLG Hamburg an. Sie ließen dabei ausdrücklich offen, ob die Beweislage für eine Verurteilung ausreicht. Das neue Verfahren soll am 16. Juni beginnen. Direkt nach der Karlsruher Entscheidung hatten Motassadeqs Verteidiger, Gerhard Strate und Josef Gräßle-Münscher, beantragt, den Haftbefehl aufzuheben.

Die Richter begründeten ihre gestrige Entscheidung damit, dass sich die Fluchtgefahr verringert habe, weil Motassadeq vermutlich nur noch eine geringere Strafe drohe. Die Höchststrafe für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beträgt 10 Jahre, hierauf müsse gegebenfalls aber auch die Untersuchungshaft von mehr als zwei Jahren angerechnet werden. Generalbundesanwalt Kay Nehm kann gegen die Freilassung Beschwerde einlegen, die aber keine aufschiebende Wirkung hat.

Motassadeqs Gesinnungsgenosse Abdelghani Mzoudi, der ebenfalls aus Marokko stammt, war im Februar „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen worden. Auch er stand im Verdacht, durch kleine Gefälligkeiten die Anschläge der Atta-Gruppe unterstützt zu haben.