Trivialität im bürgerlichen Wohnzimmer

Sibylle Broll-Pape hat im Bochumer Prinz-Regent Theater „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza inszeniert. Eine Beziehungs-Zeitschleife mit menschlichen Abgründen, über gescheiterte Kommunikation und über Kekse

Es ist nervenaufreibend. Drüben in seinem Bett krakeelt das Kind wie eine abgestochene Katze, weil es noch Kekse will oder Äpfel oder irgendwas – Hauptsache es bekommt Aufmerksamkeit. Im Wohnzimmer sitzen seine Eltern Henri und Sonja und diskutieren: Über Kekse und Äpfel und Aufmerksamkeit. Und ob der Bengel das alles haben soll, ja haben darf, jetzt noch, so spät noch.

Ein Tag geht zu Ende, ein Alltag in einem französischen Haushalt. Mit der Nacht senkt sich auch Trivialität ins bürgerliche Wohnzimmer. Ein kleiner Streit ums Kind, ein bisschen Lesen unterm Frotteeturban. Dann ab ins Bett? Nicht doch. Einen Tag früher als erwartet platzen Hubert und Ines in die vermeintliche Familienidylle. Hubert ist Henris dezent aufdringlicher Gönner im Dienste der Wissenschaft. Zumindest sieht er sich gern in dieser Position. Und Ines ist sein Weib. Die einzige Frau, die sich von Huberts schmierigem Charme angezogen fühlt. Ein simples Geschöpf – Ines eben. Der Abend nimmt seinen Lauf. Nicht einmal, dreimal wird er wieder beginnen und stets schweben zwischen Ironie, satirischer Überhöhung und blanker Wahrheit. Peinliche Pausen im Gespräch werden mit den üblichen Leerformeln gefüllt: Wie geht‘s, wie steht‘s, wie lange wohnt ihr schon hier? Darf‘s noch Wein sein, Appetithäppchen? Gern.

Entworfen wurde dieses verblüffend echt erscheindende Szenario von Yasmina Reza, jener französischen Schauspielerin und Autorin, die hierzulande bereits mit ihrem Stück „Kunst“ reichlich Ruhm abgriff. Auch „Drei Mal Leben“ wurde allerorts gefeiert, als Luc Bondy in Wien seine Uraufführung abgeliefert hatte. Nun hat Sibylle Broll-Pape das formidable Stück im Bochumer prinz regent theater aufgeführt: Auf einer schlichten Bühne, die sie mit Tom Haarmann eingerichtet und ein solides Ensemble drauf gestellt hat. Allerdings fallen hier nur Udo Thies als Henri und Sabine Weisshaar als Sonja wirklich ins Auge. Thies ist der Wandelbarste. Er gewinnt Henri die meisten Facetten ab. Dino Nolting hingegen beschränkt sich sehr auf die dandyhafte Seite des Hubert-Charakters: seine Gesten, sein Lachen bleiben oft äußerlich. Bis er, kaum ruht die Tür im Schloss, ein bisschen über Sonja herfallen darf. Henri und Ines sind derweil draußen, beim Kind. Und reichen nicht Äpfel, nicht Kekse, sondern Aufmerksamkeit.

BORIS R. ROSENKRANZ

prinz regent theater, BochumHeute und Morgen, 20:30 UhrKarten: 0234-771117