Pinkeln in die Schokolade

Nur noch bis Ende April ist in der Kunsthalle Bielefeld die Ausstellung „Das große Fressen“ zu sehen. Vor einer gefilmten Performance des Amerikaners Paul McCarthy muss seperat gewarnt werden

VON PETER ORTMANN

Hinter einer hohen Wand passierts. „So ein Schweinkram“, flüstert die adrett gekleidete Dame hinter mir. Links und rechts flimmert ein Video in dem braun beschmierte Weihnachtsmänner durch eine Presspanhöhle hasten, mit Zwergendamen kopulieren, mit Kochlöffeln in irgendwelchen Dosen herumstochern und sich dabei immer weiter einsauen.

Die Performance „Santa Chocolate Shop“ des amerikanischen Künstlers Paul McCarthy ist Teil der Ausstellung „Das Grosse Fressen“, die noch bis Ende des Monats auf beiden Ebenen der Bielefelder Kunsthalle zu sehen ist. 75 Arbeiten der kunsthistorischen Schublade „Eat Art“ umfaßt die Übersichtsschau. Während die zweite Etage dem Geist der Pop-Art gewidmet ist, stellen im ersten Stock vor allem europäische Künstler wie Dieter Roth, Marcel Broodthaers, Joseph Beuys und Giovanni Anselmo die Themen Vergänglichkeit, Symbolkraft und Vergeistigung mit Kunst aus Nahrungsmitteln vor. „Igitt“, die verwirrte Dame im hellen Frühlingskostümchen ist wieder hinter mir. Dieter Roth, dem das Kölner Ludwig Museum in diesem Jahr eine große Retrospektive widmete, erreicht mit seinem verschimmelten Käse zwischen zwei Pergamentpapieren auch posthum noch die Ekelgrenze der Menschen. Etwas ansehnlicher sind da schon Joseph Beuys‘ zerfallene Fischgräte im Holzkästchen und seine dokumentierten Fett-Arbeiten, die unsere Dame zwar auch nicht überzeugen, aber da wisse sie ja wer es gemacht habe, erzählt sie gerade ihrer Begleiterin. Die beiden können erst wieder aufatmen, als sie Andy Walhols Kuchenzeichnungen oder die gemalten Zucker- und Schokoladenlandschaften des jungen amerikanischen Künstlers Will Cotton entdecken.

Zurück in die verbotene Zone von McCarthy. Der 59jährige Performer aus Los Angeles hat schon in den späten 60ern seine Landsleute mit rohen Liveauftritten verstört, in denen er „amerikanische Werte“ über Autoritäten, feste Familienbeziehungen und immer wieder Sexualität mit Ketchup oder Mayonaise in eine drastische Fluxus-Hölle schickte und damit auch gesellschaftliche Tabus wie Leben und Tod, Fäkalien und Koitus ins Licht des Filmprojektors und so in die Köpfe der Zuschauer zerrte. Das Video der „Santa Chocolate Shop“-Performance in Bielefeld stammt aus dem Jahr 1997. Wie im Märchen-Kostümfilm beginnt alles mit harmlosem Schokolade kochen bei Santa Claus. Dann setzt sich eine der weiblichen Zwerge mit blankem Hintern auf ihren Kochtopf mit dem süssen Inhalt. Sie fügt der Schokolade Ingredienzen hinzu, die da eigentlich nicht hineingehören und löst damit eine Kette von Fäkal- und Sexorgien aus, an dessen Ende nur ein braun beschmiertes Chaos übrig bleibt. Die ausgestellten benutzten Kostüme zeugen bis heute davon.

Die Kunsthalle warnt mit einem Aushang vor den Leckereien. Es könnte sein, dass der gute Geschmack des Publikums einen Knacks bekommen könnte. Kinder haben damit kein Problem, sind fasziniert von dem lustigen Treiben der Weihnachtsmänner. Zumindest solange, bis ihre Eltern ihre Sprößlinge entdecken. Ein Junge wird gerade am Ärmel weggezerrt. Er muss sich jetzt die langweiligen Zuckerstangen im ersten Stock ansehen.

Das große FressenKunsthalle Bielefeldbis 24. April 2004Heute und Morgen findet eine Blindenführung statt, an der auch blinde Passagiere teilnehmen dürfen.Infos: 0521-32999500