Antira-Kauf nur noch mit Chip

Papierne Gutscheine für Flüchtlinge wird es vom 1. Juli an in Berlin nicht mehr geben. Zwar freuen sich die Flüchtlingsinitiativen darüber, aber der antirassistische Einkauf bleibt weiter kompliziert

VON FELIX LEE

Da sage noch einer, Linksradikale hätten Probleme mit dem Konsum. Eva, 28, bekennende Autonome, Trägerin langer Rastazöpfe, hat sie zumindest nicht: die Konsumphobien. Erst recht nicht am Osterwochenende. Mit zwei überquellenden Plastiktüten kommt sie aus dem Penny Markt in der Kreuzberger Bergmannstraße, stellt die Tüten direkt vor der Toreinfahrt ab und schleckt genussvoll die Nugatfüllung des soeben erstandenen Schokohäschens aus. Auch ihre Mitstreiter, die sich ebenfalls vor dem Penny versammelt haben, schwelgen bereits im Osterrausch und stecken sich ein Schokoei nach dem anderen in den Mund.

Die Mitstreiter, das sind etwa 80 Protestierer, die dem Einkaufsaufruf der „Initiative gegen das Chipkartensystem“ gefolgt sind. Und obwohl sie von einem guten Dutzend schwer bepolsterter Polizisten argwöhnisch beobachtet werden und das Nieselwetter auch nicht gerade zur Festtagsstimmung beiträgt, haben die Initiatoren doch etwas zu feiern: das Ende des Gutscheinsystems.

Seit sechs Jahren verabreden sich Maike (29), Thomas (30), Eva und einige andere alle paar Monate vor einem Supermarkt und gehen zusammen „antirassistisch einkaufen“.

Und das geht so: Sie vereinbaren einen Zeitpunkt, einen Supermarkt als Treffpunkt, melden beim Tiebauamt eine Kundgebung an und hoffen, dass sich mit ihnen mindestens 50 Leute dort einfinden werden. Vorher darf der mitgebrachte Lautsprecherkarren nicht eingeschaltet werden, weil ansonsten die Bedingungen einer Kundgebung nicht erfüllt werden. Ein Tapeziertisch für Informationsbroschüren kostet 22 Euro extra. Daher gibt’s nur einen „Infoteppich“ auf der Straße, gebührenfrei. Sind genug Demonstranten eingetroffen, kann der große Umtausch beginnen.

Maike ist dafür zuständig, die über Wochen gesammelten Gutscheine der Flüchtlinge in Höhe von 2, 5, 10 und 20 Euro eins zu eins mit den Demonstranten gegen Bargeld einzutauschen. Dann kann der Shoppingrausch beginnen.

Und all das soll demnächst ein Ende haben? Als „diskriminierend“ wird die Praxis der Gutscheine von den Flüchtlingen empfunden, sagt Thomas. Ohne Bargeld könnten die Flüchtlinge nicht mal ihre Anwälte bezahlen, die sie aber brauchten, um einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung zu stellen. Ein Kinobesuch oder eine Busfahrt zum Zoo sei schon gar nicht mehr drin.

Eva ist aus ganz persönlichen Gründen froh, dass der Einkauf mit den lilafarbenen Schnipseln demnächst ein Ende haben wird. Sie und ihre drei Mitbewohnerinnen können sich für ihren WG-Bedarf eigentlich nur Aldi und Lidl leisten. Weil aber die Gutscheine nur von teureren Supermarktketten wie Kaiser’s und Rewe akzeptiert werden, kauft Eva mit diesen Gutscheinen überwiegend Dinge, die bei Lidl ähnlich viel kosten. „Kaffee, Waschmittel, Toilettenpapier und den einen oder anderen guten Käse“, zählt sie auf. Der etwas günstigere Penny nehme zwar die Gutscheine auch an, gebe aber kein Wechselgeld zurück. Maikes Mitbewohnerin hat sogar mal 300 Kilo Reis in einem türkischen Supermarkt gekauft, nur um diese Gutscheine loszuwerden. „Wir haben wochenlang nur noch Reis gegessen“, erinnert sich Maike.

Antirassistische Einkäufe, die müsse es auch nach dem 1. Juli weiter geben, fordert Thomas. Denn die CDU-geführten Bezirke Reinickendorf und Spandau halten am Prinzip fest, Asylbewerbern nur Sachleistungen zur Verfügung zu stellen. Keine Gutscheine, dafür aber Chipkarten – das mache den Einkauf noch schwieriger. Denn die Chipkarten müssen jeden Monat beim Sozialamt von den Flüchtlingen persönlich wieder aufgeladen werden. Die Karten können deswegen nur verliehen werden. Und Saheila, eine nach Deutschland geflohene Rumänin, die neben Thomas steht, fügt hinzu: Wer will schon freiwillig in Reinickendorf einkaufen?