Die Rückkehr des bayrischen Patienten

Fünf Monate nachdem Sebastian Deisler sich wegen Depressionen hat behandeln lassen, bestreitet er sein erstes Fußballspiel und schießt sogar ein Tor. Die Bayern-Amateure gewinnen gegen die Offenbacher Kickers am Ende 3:1

MÜNCHEN taz ■ Dass es an diesem Donnerstagabend kein gewöhnliches Regionalliga-Spiel geben würde, wusste Hermann Gerland spätestens, als er sich den Weg zur Trainerbank im Grünwalder Stadion bahnen musste. „Da sind ja mehr als zehn Leute“, stellte der Coach der FC Bayern München Amateure süffisant fest angesichts der ausnahmsweise mit mehreren hundert Zuschauern besetzten Tribünen. Aber Gerland hatte offenbar nur diejenigen gezählt, die mit einer Kamera in den Händen vor dem Tunnel warteten, der von der Umkleidekabine zum Spielfeld führt. In einem Halbkreis standen die Kameraleute da, das erste Empfangskomitee für Nationalspieler Sebastian Deisler auf dessen Weg zurück ins Fußballgeschäft.

Fünf Monate ist es her, dass der 24-Jährige zuletzt in einem Punktspiel aufgelaufen ist; Anfang November 2003 begab sich der Mittelfeldspieler wegen Depressionen in Behandlung, was damals für viel Aufregung sorgte und die Frage aufwarf, ob die Karriere des ebenso großen wie sensiblen und verletzungsanfälligen Talents schon vorbei ist, bevor sie richtig begonnen hat. Seit ein paar Wochen trainiert Deisler wieder mit dem Kader des deutschen Rekordmeisters, und nun gab der prominenteste Patient des Profifußballs sein Comeback – in der Regionalliga Süd gegen die vom Abstieg bedrohten Offenbacher Kickers.

Bei den Bayern-Amateuren versuchte sich Deisler zunächst unauffällig einzureihen als achter Spieler, der aus dem Tunnel kam. Er war also mittendrin im Geschehen, sehr zur Freude von Bayern-Cheftrainer Ottmar Hitzfeld, der mit Manager Uli Hoeneß zwischen den Zuschauern saß. „Wichtig ist nicht die Leistung, sondern dass er wieder bei seinen Mannschaftskollegen ist; dass er als Mensch wieder Fortschritte macht nach seiner Krankheit“, sagte Hitzfeld in der Pause. Mitte der zweiten Halbzeit verließ er das Stadion, er hatte genug gesehen.

Bis dahin hatte Deisler bereits gezeigt, dass er das Ballgefühl nicht verloren hat und auch die Spielübersicht nicht. Er rochierte vom zentralen Mittelfeld auf die Außenpositionen, schlug feine Pässe, dribbelte trickreich, trat die Ecken und die Freistöße. Bei einem davon gelang ihm nach einer halben Stunde sogar das 1:0. „Das war das i-Tüpfelchen“, lobte Hitzfeld. „Ein herrliches Tor“, schwärmte Hermann Gerland. „Bei aller Wertschätzung – das war ein Witz“, fand hingegen Offenbachs Trainer Hans-Jürgen Boysen: „Der Ball war nicht hart getreten, er ging durch die Mauer durch und landete zwei Meter neben dem Pfosten im Netz. Mir ist unerklärlich, wie wir so ein Tor einfangen können.“

Allem Anschein nach wollten nicht nur die Bayern dem Rekonvaleszenten Deisler Spielpraxis verschaffen, sondern auch die Gäste. Wer immer ihn bewachen sollte, tat das nur im weitesten Sinne. „Nicht nur ihm gegenüber haben wir nicht den Druck ausgeübt, den wir ausüben wollten“, kritisierte Kickers-Coach Boysen. Nach 88 Minuten, beim Stand von 2:1, ließ sich Deisler auswechseln: „Konditionell bin ich noch nicht so weit, dass ich 90 Minuten mithalten kann“, sagte er in den Katakomben, während draußen gerade das 3:1 fiel. Aber im Grunde war er zufrieden: „Ich bin auf einem guten Weg, jetzt wird sich alles Weitere ergeben.“

Dass sich schon heute gegen den FC Schalke 04 ein Bundesligaeinsatz ergibt, glaubte Deisler freilich nicht: „Ich muss erst einmal sehen, ob ich morgen Muskelkater habe.“ Cheftrainer Hitzfeld hatte diese Frage bereits zur Pause beantwortet: „Normalerweise nicht.“ Warum nicht, erklärte Amateur-Coach Gerland: „Er muss läuferisch noch zulegen, wenn er 90 Minuten in der Bundesliga mithalten will.“

JOACHIM MÖLTER