Tulpen bis zum Horizont

Der niederländische Keukenhof zwischen Leiden und Haarlem zieht alljährlich Blumenfans aus aller Welt an. Auf 32 Hektar blühen derzeit sieben Millionen Pflanzen, um die sich 30 Gärtner kümmern

VON ULRIKE HERRMANN

Die Tulpen blühen. In Rot, Lila, Gelb, Rosa, Weiß, Orange und wieder Rot. Feld an Feld, in langen Reihen, fast bis zum Horizont. Und mittendrin steht eine Windmühle, manchmal sind es auch zwei. So jedenfalls sieht es auf den Postkarten aus: „Groetjes uit Holland“.

Sie blühen jedoch keineswegs überall. Tulpen sind wählerisch. Am besten gedeihen sie im Schatten der Dünen, im Westen von Holland, fast am Strand. Zum Beispiel zwischen Haarlem und Leiden. Mancher Niederländer kommt bestens ohne den „Bollenstreek“, diese Heimat der Blumenzwiebeln, aus. „Das ist doch langweilig“, sagt ein Bekannter, „immer nur Tulpen.“ Er war noch nie im Frühling da, obwohl er in Den Haag wohnt, das nur zwanzig Kilometer entfernt liegt. Aber auch ohne Ausflug in die nahe Ferne weiß er: „Da fahren doch sowieso nur Deutsche hin.“

Das ist ein bisschen übertrieben – es sind auch ganz viele Japaner und Amerikaner da. Und englische Brautpaare, die sich in Weiß (sie) und Grau (er) zwischen den Beeten mit den rosa Tulpen fotografieren lassen. Außerdem, das sei diesen niederländischen Bollen-Skeptikern mal gesagt, fahren etwa die Hälfte der Tulpen-Touristen mit einem Auto vor, das eindeutig das heimische Nummerschild in Schwarz-Gelb trägt.

Viele der Tulpen-Fanatiker sind beim Keukenhof anzutreffen, wo jedes Frühjahr die „Nationale Blumenausstellung“ stattfindet. Einst war dieser englische Landschaftspark ein Kräutergarten, daher der Name. Er gehörte Jakoba von Bayern, und die Herzogin führte sich auf, als hätte sie schon damals gewusst, dass sie Jahrhunderte später für Hochglanzprospekte taugen muss: In ihrem kurzen Leben von 1401 bis 1436 war sie viermal verheiratet und führte immerzu Krieg.

Der heutige Keukenhof wurde 1949 gegründet; die Blumenzüchter wollten ihren Kunden die neuesten Zwiebelkreationen zeigen. Auf 32 Hektar blühen derzeit sieben Millionen Blumen, um die sich 30 Gärtner kümmern.

Um den Bollenstreek zu entdecken, reichen auch bescheidene Botanikkenntnisse: Mitte März erscheinen die ersten Krokusse, die Felder werden orange, blau und weiß. Ende März folgen die Narzissen, Mitte April die Hyazinthen. Ende April ist es am schönsten, wenn alle Tulpensorten blühen.

Ursprünglich stammt die Tulpe aus der Türkei. Ein österreichischer Botschafter brachte ein paar Zwiebeln Ende des 16. Jahrhunderts zurück mit nach Wien. Erbittert kämpften die Kaiser gegen die türkische Expansion auf dem Balkan – doch gleichzeitig waren sie fasziniert von dem Luxus, den die Sultane entfalten konnten. Auch von dieser Tulipan, der Turbanblume, hatte man schon gehört, die in den Palastgärten am Bosporus blühte.

Ein paar dieser ersten Importzwiebeln gerieten in die Hände von Carolus Clusius, der seit 1593 Botanikprofessor an der neu gegegründeten Universität Leiden war. Die Blumen gediehen überraschend prächtig in seinem Garten gleich hinter den Dünen, und seither weiß man, was die Tulpe liebt: sandige, leichte Böden, die dennoch vom Grundwasser durchtränkt sind. Das ist fast überall ein Widerspruch, aber nicht im nassen Holland.

Tulpen wurden schnell zur Mode bei den reichen Kaufleuten. Als Zier im Garten, vor allem aber als Spekulationsobjekt, denn eigentlich sind Tulpenzwiebeln eine Art Immobilie: Von September bis Juni ruhen sie unbeweglich in der Erde. Daher schloss man Warentermingeschäfte ab – und verkaufte nicht mehr reale Zwiebeln, sondern Anwartschaften auf Papier. 1637 kosteten schließlich drei Papierzwiebeln von der Sorte „Semper August“ umgerechnet 13.630 Euro, während ein Amsterdamer Grachtenhaus damals nur 4.545 Euro wert war.

An einem schwarzen 3. Februar passierte es dann an der Tulpenbörse: Das Angebot überstieg deutlich die Nachfrage, der Zwiebelkurs stürzte ab. Von dieser „Tulpenmania“ blieb nur das Know-how der Züchter zurück.

Es kann sehr romantisch sein im Bollenstreek. Kanäle durchziehen die Blumenfelder, wippende Narzissen spiegeln sich im dunklen Wasser und Hausboote ankern direkt vor Windmühlen. Das perfekte Hollandfoto ist schnell gemacht.

Doch oft muss man sich noch nicht mal umdrehen, um stattdessen eine vernarbte Landschaft aufzunehmen. Dann sind Müllhalden im Bild, Schuppen, Silos, Industriegebiete, Autobahnen und Vorortsiedlungen. Die Tageszeitung Volkskrant beschwerte sich kürzlich über dieses „Durcheinander“. Im Bollenstreek sei es ja „so unordentlich wie in Belgien“ – das ist die härteste Kritik, die denkbar ist im Land der Belgierwitze.

16 Millionen Menschen leben in den kleinen Niederlanden; die Hälfte davon ballen sich zwischen Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und Utrecht. Und mitten in diesem Kreis der Großstädte, auch „randstad“ genannt, liegt der Bollenstreek. Mindestens 150.000 Wohnungen fehlen in den Niederlanden, da stören diese Blumenfelder nur. Längst wird in der Regierung debattiert, ob man den Bollenstreek nicht verlagern sollte. Nach Norden, zum Kop van Holland, wo es nur Kleinstädte und Himmel gibt.

Während die Regierung schon seit Jahren nachdenkt, sind die Blumenbauern längst unterwegs. Zwei Drittel der Zwiebeln stammen bereits aus den Poldern bei Den Helder. Nord-Holland – und nicht der Bollenstreek – kann sich rühmen, das „größte zusammenhängende Blumenzuchtgebiet der Welt“ zu sein.

Es hat ein bisschen gedauert, aber nun haben es auch die Touristen gemerkt. Immer mehr meiden sie das Gebiet zwischen Haarlem und Leiden und besuchen stattdessen die Blumenfelder im Norden.

Etwa hundert Kilometer trennen diese beiden Zuchtgebiete, dazwischen liegen hundert Kilometer Dünen. Und typisch holländisch: Mitten durch den Sand und den Strandhafer führt ein Fernradweg. Von Hoek van Holland zum Kop van Holland, von Den Haag nach Den Helder kann man von den südlichen Tulpen zu den nördlichen Tulpen radeln. Und erlebt ein Wunder, das eine niederländische Bekannte immer wieder in die Blumenfelder streben lässt: „Ist doch merkwürdig, dass wir in unserer grauen Landschaft im Frühjahr so viel Farbe haben.“

Der Keukenhof hat in diesem Jahr vom 25. März bis zum 20. Mai täglich von 8 bis 19.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt für Erwachsene 12 Euro, für Kinder 5,50 Euro ( www.keukenhof.com ). Ab Leiden Centraal fährt alle 30 Minuten ein Bus ( www.connexxion.nl ). Am 24. April findet der jährliche „Blumenkorso“ statt, der auch der „hübscheste Stau der Niederlande“ genannt wird. 60 Wagen schaukeln vom Badeort Noordwijk nach Haarlem. Da sind dann meterhohe Schiffe, Schwäne, Fische oder Lämmer aus Tulpen zu sehen.