Erst Frieden, dann Geld

Die G 8 wollen Afrika helfen, bis 2010 multinationale Friedenstruppen mit bis zu 3.500 Mann aufzubauen

von DOMINIC JOHNSON

Soll keiner behaupten, Afrika sei in der Weltpolitik unwichtig. Auf jedem G-8-Gipfel nimmt es mehr Raum ein. 2000 in Japan wurden afrikanische Staatschefs noch mit einem marginalen Sondertreffen in Tokio fern von der Gipfelinsel Okinawa abgespeist; 2001 in Genua waren sie immerhin am Gipfelort präsent. 2002 verabschiedeten die G 8 im kanadischen Kananaskis einen „Aktionsplan“ zur Unterstützung des neuen afrikanischen Entwicklungsvorhabens Nepad, der „Neuen Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas“. Und jetzt in Evian war Afrika der erste Tagesordnungspunkt: Am Sonntag wurde aus der G-8-Runde zum Auftakt des Gipfels eine G-20-Runde, zu der neben den Staatschefs von Algerien, Ägypten, Nigeria, Senegal und Südafrika auch die von Marokko, Malaysia, Indien, China, Brasilien, Mexiko und Saudi-Arabien eingeladen waren – eine richtige Weltwirtschaftsrunde.

Das zunehmende Gewicht globaler Fragen, bei denen Afrikas Instabilität als globaler Krisenfaktor eine wichtige Rolle spielt, bedeutet aber nicht automatisch bessere Beschlüsse. „Chirac-Zirkus“ heiße informell dieser erste Gipfeltag, lästert die südafrikanische Tageszeitung Business Day und kommentierte: „Als Nepad entstand, wurde es vom Westen als Marshallplan für Afrika gepriesen. Damit Nepad Erfolg hat, müsste es genauso viel finanzielle Unterstützung erhalten wie der europäische Marshallplan – 10 Prozent des US-Bruttosozialprodukts“. Dass so viel Geld nicht zur Verfügung steht, weiß jeder.

Ankündigungen wie die Chiracs, die französische Hilfe für Aidsbekämpfung zu verdreifachen, können nicht verbergen, dass die Zusagen der reichen Industrienationen für Afrika sich weiterhin im symbolischen Bereich bewegen. Schon vor einem Jahr in Kanada war vom Nepad-Vorhaben, jährlich 64 Milliarden Dollar Kapital nach Afrika zu locken, nur die Bestätigung eines vorherigen UN-Gipfelwunschs, die weltweite Entwicklungshilfe bis 2006 um 12 Milliarden Dollar zu steigern. Natürlich brüstet sich jetzt jedes Land damit, eigene Beiträge zur Umsetzung von Nepad zu leisten. So verwies die US-Regierung lautstark auf ihren neuen, 15 Milliarden Dollar schweren Aktionsplan zum Kampf gegen Aids, von dem 5 Milliarden in den globalen UN-Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose fließen sollen.

Bei wechselnden Gipfelorten kann sich der jeweilige Gastgeber aber immer dadurch profilieren, mehr tun zu wollen als der letzte. Für Evian verkündete Gastgeber Jacques Chirac im Vorfeld ein revolutionäres Ziel: die Umsetzung der Beschlüsse von Kananaskis. „Wichtige Entscheidungen“ kündigte er an, u. a. eine „Afrika-Handelsinitiative“. Konkret machte Frankreich drei Vorschläge: ein Moratorium auf Exportkredite und Exportsubventionen für Ausfuhren der reichen Industrienationen Richtung Afrika, damit die einheimische Produktion nicht mehr durch subventionierte Importprodukte zerstört wird; eine Harmonisierung der diversen bestehenden Handelspräferenzen für afrikanische Länder; und Schutz für afrikanische Rohstoffproduzenten vor Fluktuationen der Weltmarktpreise. Diese Ideen hat Chirac bereits beim franko-afrikanischen Gipfel in Paris am 20. und 21. Februar mit Südafrikas Präsident Thabo Mbeki abgestimmt.

Selbst solche Beschlüsse, über die es beim Gipfelauftakt noch keine Einigkeit gab, hätten aber nur den Status von Empfehlungen für die nächsten Welthandelskonferenzen. Außerdem: Wenn sich Kriege und Instabilität in Afrika weiter ausbreiten, werden auch Handelserleichterungen nichts nützen. Nach UN-Angaben sind die ausländischen Investitionen in Afrika und der afrikanische Anteil am Welthandel zwischen 2001 und 2002 weiter zurückgegangen. Die Abkopplung der afrikanischen Wirtschaft von der Weltwirtschaft setzt sich fort – trotz Nepad.

Dafür gibt es konkrete Gründe. Die größte Volkswirtschaft, Südafrika, stagniert – unter anderem wegen der verheerenden Auswirkungen von Aids. Die zweitgrößte, Nigeria, verzeichnete letztes Jahr Minuswachstum. Die drittgrößte, die Elfenbeinküste, rutschte letztes Jahr in einen Bürgerkrieg ab. Das Bruttosozialprodukt des ebenfalls wirtschaftlich wichtigen Simbabwe weist seit mehreren Jahren die höchsten Schrumpfungsraten der Welt auf.

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in schlechter Politik, und deshalb rücken politische Fragen ins Zentrum der diesjährigen Afrika-Debatten. Statt für Geld und Handelserleichterungen interessiert man sich in Evian für Friedenssicherung und politische Reformen.

Größtes Interesse findet der im März formell als Teil von Nepad beschlossene Mechanismus zur gegenseitigen Überprüfung des Regierungshandels afrikanischer Länder – der „Peer Review Mechanism“. Darin sollen Afrikas Regierungen sich gegenseitig evaluieren und kritisieren, wenn sie nicht die im Nepad-Plan festgeschriebenen Ziele „guter Regierungsführung“ einhalten. Bisher haben zwölf afrikanische Länder ihre Mitarbeit an diesem Mechanismus angekündigt – ein erster institutionalisierter Schritt zur Überwindung des bisher bei Afrikas Regierungen heiligen Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Kollegen.

Für Uschi Eid, Afrika-Beauftragte von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ist das ein Kern der zukünftigen Zusammenarbeit mit Afrika. „Mit Ländern, die dem Peer Review Mechanism angehören, kann man eine bevorzugte Partnerschaft eingehen“, sagt sie. Gemeint sind intensivere diplomatische Kontakte und ein breiteres Spektrum an entwicklungspolitischen Maßnahmen.

Doch in Afrika selbst wird dieser Mechanismus bislang eher skeptisch betrachtet. Die Bereitschaft zur Kritik beispielsweise an Simbabwes Präsident Robert Mugabe sei in Afrika nach wie vor zu gering, kritisierte jüngst der simbabwische Ökonom Tony Hawkins auf einer Konferenz zu afrikanischer Sicherheitspolitik in Pretoria. Gerade die Staatschefs der beiden führenden Nepad-Exponenten, Nigeria und Südafrika, blockten Kritik an Mugabe am heftigsten ab.

Die Idee des „Peer Review“ sei „extrem obskur“, kritisiert der Politikwissenschaftler Neo Simutanyi aus Sambia und wundert sich, dass alle Nepad-Mechanismen allein die Regierungen betreffen. „Wenn man die gegenseitige Überprüfung den Politikern überlässt, werden sie die Hürden sehr niedrig ansetzen. Jeder staatliche Akt ist dann in Ordnung.“ Gyimah Boadi vom ghanaischen Zentrum für Demokratische Entwicklung verlangt die Einbeziehung der Zivilgesellschaft: „Im Moment können wir unsere Meinungen äußern, aber wir wissen nicht, ob die Politik davon Notiz nimmt. Organisationen wie meine können jetzt mehr über Regierungsführung reden. Aber auch nur in Ländern, wo die Regierung das zulässt.“

Den Peer Review Mechanism gibt es bisher sowieso nur auf dem Papier – die Bürokraten, die ihn einrichten sollen, werden gegenwärtig per Stellenausschreibung im Economist mit Bewerbungsfrist 8. Juni gesucht. Nicht auf Papier beschränkt sind hingegen Afrikas Kriege, und so tritt Afrika in Evian hauptsächlich als Krisengebiet in Erscheinung. Alle begrüßen die geplante UN-Eingreiftruppe gegen Milizen in der Demokratischen Republik Kongo und stärkere Unterstützung für afrikanische Friedensbemühungen generell.

So wollen die G-8-Staaten afrikanische Regionalorganisationen unterstützen, damit diese bis 2010 die Kapazität zur Aufstellung eigener Friedenstruppen haben – „multinationale Bereitschaftsbrigaden“ von insgesamt 3.000 bis 3.500 Mann, heißt es dazu im gemeinsamen Papier der G 8. Es ist eine Initiative, deren Urheberschaft sich Deutschland rühmt. Neben Ausbildung von Soldaten geht es dabei, sagt Uschi Eid, um „Ausbildung von Zivilpersonen bei friedenserhaltenden Einsätzen für den Umgang mit Kindersoldaten, Vermittlungsarbeit, die Wiedereinrichtung kommunaler Einrichtungen in Nachkriegssituationen“. Dazu soll u. a. für 1,3 Millionen Euro ein „Peacekeeping Training Centre“ in Kenia entstehen und für 2 Millionen Euro ein „Kofi-Annan-Zentrum“ in Annans Heimatland Ghana.

Doch afrikanische Friedenssicherungsmechanismen sind auch auf dem Kontinent ein heikles Thema, legitimieren sie doch robuste gegenseitige Einmischung noch viel mehr, als die kultivierte Unverbindlichkeit des Peer Review Mechanism es je könnte. Auf einem afrikanischen Außenministertreffen in Südafrika vorletzte Woche zur Vorbereitung des nächsten Jahresgipfels der Afrikanischen Union (AU) im Juli in Mosambik wurde festgestellt, wie sehr Afrikas Regierungen hinter die eigenen Ansprüche zurückfallen. Bei der Umwandlung der OAU (Organisation für Afrikanische Einheit) in die AU letztes Jahr war beschlossen worden, einen Afrikanischen Sicherheitsrat einzurichten, um afrikanische Militärinterventionen im Falle von Völkermord und schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einzelnen Ländern beschließen zu können. Bis jetzt haben nur von fünf Staaten diesen Beschluss ratifiziert: Algerien, Äquatorialguinea, Mali, Ruanda und Südafrika. Nötig für seine tatsächliche Einrichtung wären 26. Keine gute Ausgangsbasis für Wünsche an die reichen Industrienationen, endlich mehr gegen Afrikas Krisen zu tun.