Eierweitwurf in Amsterdam

Ostern mal anders: Berlin Thunder startet mit zwei Siegen furios in die Saison. Weil Sympathieträger Axel Kruse ausscheidet, sucht der Verein nach neuen Galionsfiguren. Jörg Heckenbach bewirbt sich mit zwei Touchdowns

Zwei Spiele, zwei Siege: Nie zuvor hat die Saison für Berlin Thunder so erfolgreich begonnen. Nach dem samstäglichen 28:17-Erfolg bei den Amsterdam Admirals hat man erstmals in der Geschichte des hauptstädtischen Ablegers der National Football League (NFL) die beiden ersten Partien siegreich gestalten können. Schon der Auftaktsieg gegen die Scottish Claymores war eine Novität, hatte man in den letzten fünf Jahren doch noch nie ein erstes Spiel oder auch ein erstes Heimspiel siegreich gestalten können.

„Wir haben nicht gut gespielt und doch gewonnen. Das Spiel noch zu drehen, spricht für den Charakter der Mannschaft“, sagte Headcoach Rick Lantz nach dem glücklichen Sieg gegen die Admirals. Verdient oder nicht, auf dem Erfolg kann das Team jetzt aufbauen, um Thunder weiter als Marke in der Stadt zu etablieren. Muss es auch, denn die insgeheim gehegte Hoffnung, den Zuschauerrekord von 16.312 aus dem ersten Heimspiel der vergangenen Spielzeit zu übertreffen, wurde nicht erfüllt. Die 14.257, die am vergangenen Wochenende nach offizieller Zählung im Olympiastadion dem 20:14-Erfolg gegen die Claymores beiwohnten, lagen allerdings deutlich über dem letztjährigen Heimschnitt.

Ein Problem in dieser Saison wird es sein, Identifikationsfiguren zu installieren – der wichtigste Berliner Sympathieträger, Exkicker Axel Kruse, hat seine aktive Karriere beendet. Der ehemalige Hertha-Profi wurde vergangenes Wochenende von Manager Michael Lang als erstes Mitglied in die neu geschaffene „Hall of Fame“ von Thunder aufgenommen und agiert seit dieser Saison als Experte bei TV Berlin. Der Sender überträgt alle Thunder-Spiele in voller Länge, wenn auch meist zeitlich versetzt. Davon, dass das Team nun so regelmäßig und ausführlich behandelt wird im Lokalfernsehen wie nie zuvor, versprechen sich die Klub-Verantwortlichen einen dauerhaften Werbeeffekt, der zusätzliche Zuschauer in die immer noch arg atmosphärelose Baustelle Olympiastadion locken soll. Die Sponsoren des Klubs freut die ausgebaute TV-Präsenz schon jetzt.

Weil Kruse seinen Rücktrittsentschluss erst im Februar fällte, blieb dem Thunder-Management keine Zeit mehr, einen prominenten Ersatz zu finden und den auf seine neue Aufgabe vorzubereiten. So wird wohl der seit fünf Jahren für Thunder tätige Wide Receiver Jörg Heckenbach diese Rolle ausfüllen müssen. Der fing zwar im Auftaktspiel keinen einzigen Pass, legte aber im zweiten Spiel mit gleich zwei Touchdowns kräftig zu. Außerdem überzeugte er in den Special Teams und konnte erfolgreich die Ängste um seinen Gesundheitszustand ausräumen: Im vergangenen Sommer hatte er in einem Trainingscamp der Green Bay Packers noch wegen Nierenproblemen einen Zusammenbruch erlitten.

Nachdem Axel Kruse nun nicht mehr als tragende Galionsfigur für Thunder zur Verfügung steht, bemüht man sich außerdem den neuen Kicker zum identifizierbaren Gesicht aufzubauen. Nach jedem erfolgreichen Extrapunkt grinst neuerdings überlebensgroß Heinz Quast von der Anzeigetafel. Der Stadionsprecher hält die Zuschauer bei jeder Gelegenheit und mit großer Ausdauer dazu an, seinen Vornamen zu skandieren. Auch Quast war, wie es der Tradition der NFL Europe entspricht, einmal Fußballprofi – nur leider nicht hierzulande, sondern für drei Jahre in der dänischen Liga. Nun findet Thunder womöglich zwar einige neue Freunde beim nördlichen Nachbarn, aber bis der 25-jährige Quast im gleichen Maße als Berliner Jung akzeptiert wird wie der DDR-Flüchtling Kruse, wird er wohl noch einige Male das Ei durch die Stangen treten müssen.

THOMAS
WINKLER