Eine Krankheit namens Nachbar

Wider den letzten natürlichen Feind des Menschen. Ein erlösendes Klagelied

Streit ist sein Frühstück, Stunk sein Abendbrot, schlechte Laune sein Tag

Der Nachbar ist der Feind des Menschen. Er zermalmt die Behaglichkeit, verjagt die Gemütlichkeit, zertrümmert die Heimeligkeit. Des Menschen eigene vier Wände zerbersten vor der schrillen Existenz des Nachbarn. Alle Lauschigkeit und traute Annehmlichkeit schrumpft vor dem Hauch des Nachbarn zu einem Nichts.

Wo der Mensch in Ruhe seine schönen Stunden abwohnen will, krawallt der böse Nachbar mit dem Radiokasten dazwischen, unablässig. Wo der Mensch in Eintracht mit sich und dem Kosmos heiter seines Glückes zu pflegen gedenkt, ramentert der Nachbar mit der Fernsehkiste drein voll Ingrimm. Der Mensch will leben, der Nachbar lärmen. Keine Stille, in die der Nachbar nicht mit der Säge hineinfährt. Kein Friede, den der Nachbar nicht mit dem Hammer zernichtet.

Wo das Haupt des Menschen zu willkommener Erholung und bedächtiger Entspannung sich sanft auf den weichen Pfühl legt und das Hirn in den milden Schlummer hold hineinzugleiten lieblich geruht, da kreischt der Nachbar mit der Bohrmaschine jaulend auf. Der Nachbar geht auf den Nerven des Menschen spazieren.

Wo der Mensch dem Gott der Geräuschlosigkeit huldigt und stumm obliegt, schimpft der Nachbar aus seiner Wohnung laut in die Welt hinein.

Wo der Mensch mit freundlichem Entgegenkommen ein friedlich-schiedliches Miteinander erstrebt, wirft er mit Steinen der Unverschämtheit und Unausstehlichkeit. Mit infernalischer Infamie lebt er streitsüchtig mit dem Unheil und hält dem Kosmos das winzigste Missgeschick vor, während er sich selber jede Untat verzeiht. Wie ein Mühlstein lastet der Alb namens Nachbar auf dem Menschen.

Streit ist sein Frühstück, Unfriede sein Mittagessen, Stunk sein Abendbrot, schlechte Laune sein Tag, Hader und Groll sind seine Nacht, Missgunst ist sein ganzes Leben. Aus seinem Mund kommt Schmutz, sein Dasein ist Niedertracht. Er duscht morgens um vier, wirft die Waschmaschine an früh um fünf und poltert die Treppe rauf und runter mit seinen vier Hufen von morgens bis abends. Der Tag selbst fürchtet sich vor ihm, und keine Nacht ist vor ihm sicher. Der Wirsing seiner Nahrung jagt der Luft im ganzen Wohnblock Angst und Schrecken ein.

Satan, dein Name ist Nachbar! Alles Schlechte, Böse und Widerwärtige ist in ihm versammelt. Der Nachbar ist der Inbegriff des Ekels, die Inkarnation der Hässlichkeit und die Verkörperung der Dummheit, er ist ein Ausguss der Verkommenheit und der Abtritt der Verworfenheit, die Fleisch gewordene Engstirnigkeit und die Selbstsucht in Person. Er ist ein Mount Everest an Bösartigkeit und weiter entfernt von Achtung, Güte und Höflichkeit als der Rand des Weltalls von der Erde. Er ist ein Stinkstiefel für und für, ein Kotzbrocken über und über und niemandem gewogen denn sich selbst. Seine Stirn ist die niedrigste und flachste, sein Kopf der kleinste und engste, den man sich vorstellen kann. Er ist der Dachschaden in Vollendung. Er ist ein Arschgesicht, für das jeder Hintern sich schämen würde. Selbst der Teufel neidet ihm die Scheußlichkeit seiner Gesinnung.

Unfriede ist seine Religion, tückische Neugier sein Glaube, sein Ich sein Abgott. Er horcht, er lauscht, er spioniert hinterher. Er öffnet fremde Briefe und montiert Spiegel, die in fremde Räume um die Ecke lugen. Er scheißt ins Treppenhaus. Die Welt betrachtet er als sein Eigentum. Im Hausflur und im Kellergang stapelt er seine Kisten, Kästen und Stolperfallen. Er rangiert seine Blumenkübel, Aquarien und alten Möbel in den Fahrradkeller, nachdem er die Räder hinausgeschafft und Platz für seine Sachen gemacht hat. Der Tumor der menschlichen Gesellschaft heißt Nachbar.

Der Nachbar ist eine Krankheit. Er stinkt aus den Ohren, und aus seinem Hosenbein rollen Köttel. Er hat keine Seele, und in seinem Gehirn hat nur er selber Platz. Wahrscheinlich hat er gar kein Gehirn. Er hat keinen Verstand, nur einen Instinkt, der ihn leitet zu stören, zu piesacken, zu peinigen, die Nerven zu strapazieren, auf den Wecker zu gehen und dem Menschen den einen, einzigen Gedanken einzugeben: Möge der Nachbar an seinem eigenen Atem ersticken! Denn das ist das größte Verbrechen des Nachbarn: dass er den lind auf erbauliche Anmut setzenden Menschen, der dem Edelsinn, der Großzügigkeit und dem Großmut lebt, herabzwingt auf sein Niveau.

Darum, barmherziger Gott, feg den Nachbar hinweg! Schick Hagelkörner auf sein Haupt, schütte Wolkenbruch und Steinschlag auf ihn hernieder! Schneid ihn in Stücke wie eine Wurst, stülp ihn kopfüber in ein Fass voller Klapperschlangen! Vertilg ihn und würg ihn wieder aus, dass die Fliegen ihn fressen! Und erlöse den Menschen von dem Übel, des Name Nachbar ist. Amen.

Zum Glück ist dieser saubere Nachbar, nennen wir ihn zum Beispiel Herr Rümenapp, aber nur eine Kunstfigur. In Wahrheit heißt er ■■■■■.

AUFGEZEICHNET VON

PETER KÖHLER