STOIBER (CSU), MÜLLER (CDU), SOMMER (DGB) UND IHRE „KLEINEN LEUTE“
: Protest statt Paternalismus

Dieser Tage ging ein amüsanter Streit durch die Union: Wer ihrer Politiker vertritt eigentlich die Interessen des „kleinen Mannes“? Darüber sind sich die Schwesterparteien in die Haare geraten. „Die CSU ist nicht die einzige Schutzmacht des kleinen Mannes“, nörgelte der saarländische CDU-Chef Peter Müller. CSU-Chef Edmund Stoiber hatte sich zuvor für die „kleinen Leute“ ausgesprochen, die den Sozialreformen nur zustimmen könnten, wenn „sich die Eliten in diesem Land“ daran ebenfalls beteiligten. Nur auf den „Rücken der kleinen Leute“ werden die Lasten der Krise geladen, hatte zuvor Gewerkschaftsboss Michael Sommer gewettert.

Wenn sowohl die CDU/CSU als auch die Gewerkschaften sich zum Anwalt der gleichen Klientel machen, herrscht Unordnung in der politischen Semantik: Der Begriff des „kleinen Mannes“ erklärt nichts mehr, sondern verschleiert nur noch. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Schwachen, die Ausgeschlossenen, die Belasteten heute viele Gesichter haben – mindestens ebenso viele wie die Protestierer auf den Sozialabbau-Demos und den Ostermärschen in den vergangenen Tagen, die wiederum gegeneinander mehr Ressentiments hegen, als sie gerne zugeben. Die einen empfinden die smarten Globalisierungskritiker von Attac als mediengeile Politangeber, andere wiederum halten die Gewerkschaften für Interessenvertreter allein der männlichen Facharbeiterschaft, Jüngere amüsieren sich über die Rentnerlobby „mit Krückstock“, andere wiederum glauben, dass die wirklich Ausgeschlossenen sowieso nirgendwo mehr politisch vertreten sind.

Wer, bitte, ist denn nun der „kleine Mann“? Nostalgische Begriffe stören da nur, mehr noch: Der Begriff stützt sogar eine unangenehme paternalistische Sichtweise. Er suggeriert: Ihr Kleinen seid da unten, und wir Politiker hier oben wissen, was gut für euch ist. Dem Gerede vom „kleinen Mann“ ist recht einfach per Protestaktion zu entkommen – denn die ist auch Stoiber unangenehm. Dann aber sollte der Ausdruck auch nicht mehr von Rednern auf Demonstrationen zu hören sein.

BARBARA DRIBBUSCH