„Forschen nach Auffälligkeiten“

betr.: „Albtraum Spätabtreibung“ u .a., taz vom 18. 12. 08

Es ist längst überfällig, dass im Bundestag und der Öffentlichkeit über dieses Thema debattiert wird. Prinzipiell müsste sich jedoch mit dem ganzen Thema der vorgeburtlichen Diagnostik auseinandergesetzt werden, denn die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Untersuchungen haben die Gesellschaft, den Gesetzgeber und seinen Auftrag, seine Bürger zu schützen, mit Siebenmeilenstiefeln überholt. Dies führt zu einer Kultur, in der Ärzte aus Angst vor juristischen Schritten fast Mantra-artig ihren Patientinnen das „Forschen nach Auffälligkeiten“ aufzwingen. Vielen Frauen/Paaren wird so schon zu Beginn der Schwangerschaft eine große Unsicherheit völlig unnötigerweise aufgedrängt. In sogenannten Risikogruppen oder bei geringfügigen Auffälligkeiten wird das individuelle Risiko einer möglichen Behinderung oft überzeichnet und die Chance auf ein gesundes Kind heruntergespielt. Hier steht die ärztlich geschürte Angst vor der Behinderung in keinem Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit, dass sie vorliegt. So zahlt die Mehrzahl der Frauen und Paare einen hohen Preis für die tatsächliche Zahl an Behinderungen, die vorgeburtlich entdeckt wird.

Kommt der Ernstfall, stehen oft die benötigten Beratungsressourcen nicht oder ungenügend zur Verfügung. Weder der Gesetzgeber noch die Fachgesellschaften schreiben den Ablauf einer solchen vorgeburtlichen (geschweige denn einer nachgeburtlichen) Beratung vor, sobald ein auffälliges Ergebnis vorliegt. Somit ist die Drei-Tage-Bedenkfrist ein absolutes Minimum im Sinne der Frauen und Paare – die Mehrheit aller Abtreibungen beim Down-Syndrom werden europaweit innerhalb der ersten drei Tage nach Diagnose durchgeführt, d. h. meist ohne adäquate Beratung. Zusätzlich sollte sich der Gesetzgeber verantwortlich zeigen und eine feste Beratungsstruktur vorschreiben, die den Betroffenen vor und nach der Entscheidung für oder wider eine Abtreibung zur Verfügung steht.

CORDULA INTERTHAL,

Frauenärztin mit Schwerpunkt Pränataldiagnostik, Mainz