Si tacuisses

betr.: „Toleranz kommt aus Bagdad und Basra“, taz 12.4.04

Ich dachte immer, die katastrophalen PISA-Ergebnisse seien auf Versäumnisse in jüngster Zeit zurückzuführen. Nach dem Interview mit Dr. D. Quintern muss ich wohl umdenken. Denn was soll man davon halten, dass er das „Christentum“ als „ja auch eigentlich eine arabische Religion ursprünglich“ einstuft. Noch nie von Juden gehört? Vermutlich als über Araber Promovierender nicht. Und was ist davon zu halten, dass Jesus „in Palästina“ aufgewachsen ist. Noch nie von Galiläa und Judäa gehört? So hieß das Land zur Zeit Jesu, bevor der römische Kaiser Hadrian es im 2. nachchristlichen Jahrhundert in „Provincia Syria Palaestina“ umtaufte. – Man merkt die Absicht und ist verstimmt...– Und dass Augustinus „ein Tunesier“ sein soll, ist ja wohl ein Witz. Der Mann wirkte als Bischof von Hippo, dem heutigen Anaba, also wäre er „Algerier“. Dieser bedeutende römisch-katholische Kirchenlehrer ist allenfalls von seiner Geburt her Numidier oder ein in Rom ausgebildeter Afrikaner. Denn die Provinz, in der er tätig war, hieß damals Afrika und gehörte zum römischen Reich. Das Mittelmeer hieß mare nostrum.

Und was das Wort Ostern angeht, betet der Doktorand nur Altbekanntes nach. Das Wort Ostern taucht im 7./8. Jahrhundert bei Beda Venerabilis als „Eostro“ auf und bedeutet Morgenröte. Denn im Canon Hyppolyti heißt es über Ostern, ich zitiere es lieber in Deutsch: „Niemand soll in dieser Nacht schlafen, sondern wach bleiben bis zur Morgenröte“.

Und wenn man den Dr. Quintern von Kreuzzügen und Toleranz in Spanien schwafeln hört, dann kommt einem die Idee, die Nordafrikaner und Spanier hätten im 7., 8. Jahrhundert nach Bagdad oder Damaskus gemailt: „Nun besetzt uns mal schön!“ Dies ist kein Plädoyer für die Kreuzzüge, aber ein Anstoß zur Differenzierung, denn den Kreuzzügen ging die Eroberung und Besetzung des einst christlichen Nordafrikas und Spaniens sowie „Palästinas“ voraus. Dr. Quintern würde sich vermutlich bedanken, wenn er unter den „toleranten“ Bedingungen in Andalusien hätte leben müssen, denn dort zahlten nur die Christen Steuern, sie waren wehruntüchtig und die Toleranz bestand hauptsächlich darin, dass man nicht umgebracht wurde, wenn man seinen eigenen Glauben behielt. Die Araber waren eben die Herren und Christen wie Juden die Besiegten. Beweise? Bitte sehr: „Ein Muslim darf nicht den Abfall von Juden und Christen beseitigen und nicht ihre Latrine reinigen, es ist angemessener, dass Juden und Christen dieses Gewerbe ausüben, denn es ist das Gewerbe der am meisten Verachteten.“ Oder: „Im moslemischen Gebiet dürfen Glocken nicht geläutet werden, sie sind allein dem Gebiet der Ungläubigen vorbehalten“. Auch: „Man darf nicht zulassen, dass ein Steuereintreiber, Polizist, Jude oder Christ, sich wie ein Notabler, ein Jurist oder Reicher kleidet, sondern man muss sie hassen, den Verkehr mit ihnen meiden und darf sie nicht mit ‚der Friede sei mit dir‘ grüßen, denn der Satan hat von ihnen Besitz ergriffen und sie das Gedenken Allahs vergessen lassen“, so Ibn Abdun 1100 in Sevilla. So viel zur „Toleranz“. – Und noch eins: Der eigentliche Lichtblick des Interviews sind die beiden Fotos. Nur stimmt die Unterschrift mit dem „Kopftuch auf dem richtigen Kopf“ für Bremen leider auch nicht. Hier mussten die katholischen Nonnen nämlich zwischen 1903 und 1920 ihr Kopftuch einpacken, weil der Senat den katholischen Schulen nur unter der Bedingung mit Kohle aushalf, wenn die Schulschwestern ohne Kopftuch unterrichteten. Die Kinder sollten nämlich nicht, wie Franz Ernst Schütte in der Bremischen Bürgerschaft formulierte: „In jedem Augenblick daran erinnert werden, dass sie unter kirchlicher Zucht stehen.“ Wohlgemerkt: Es ging um katholische Kinder in einer katholischen Schule. Merke: Ganz so frei war die Freie Hansestadt eben nicht, auch wenn sie sich stolz das Etikett „hospitium ecclesiae“, „Herberge der Kirche“ ans Revers pappte. Fazit: O si tacuisses ... (Oh, hättest du geschwiegen...)

Mit kopfschüttelnden, aber eigentlich ursprünglich toleranten Grüßen Wilhelm Tacke