Die Rache des Oberarztes

Staatsmedizin und Wartelisten für Patienten: Jörg-Dietrich Hoppe, Chef der Bundesärztekammer, warnt vor den schrecklichen Folgen der Gesundheitsreform. Ernst zu nehmen ist er dabei nicht

von ULRIKE WINKELMANN

Jörg-Dietrich Hoppe ist ein sehr hagerer, sehr großer Mann, die Stirn wölbt sich hoch über seinem schmal zulaufenden Gesicht. Er ist gläubiger Katholik und Liebhaber klassischer Musik. Wenn der 63-jährige Arzt redet, dann wirkt er auf eine reizende Art ein klein bisschen hilflos und noch ein kleineres bisschen trotzig.

Bei allem, was Hoppe sagt, klingt der Ton aufrichtiger Sorge durch: Sorge um das Verhältnis von Arzt und Patient, um die Menschlichkeit im Gesundheitswesen. In all dem unterscheidet sich der Chef der Bundesärztekammer von den meisten ärztlichen Standesvertretern in ihrem entweder schneidend-arroganten oder polternd-jovialen, immer aber autoritären Paternalismus.

Nein, der Ärztepräsident Hoppe, seit 1999 im Amt, sorgt sich ausführlich, gestern zum Beispiel in der Welt. Durch die Gesundheitsreform werde die medizinische Versorgung der Bevölkerung leiden, erklärte Hoppe. „Wir sind auf dem Weg in ein staatlich gelenktes Gesundheitssystem, wie es in Schweden oder in England existiert.“ Es werde Wartelisten geben. Krankenhäuser müssten schließen. Der „Facharzt um die Ecke“ existiere bald nicht mehr. „Diese Absenkung der Versorgungsqualität ist aus Kostengründen politisch gewollt – aber die Regierung gibt dies nicht offen zu“, sagte Hoppe.

Diese Attacke auf Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ist nun auch politisch gewollt – aber Hoppe gibt dies nicht offen zu. Der Ärztepräsident hat sich einen nachrichtenarmen Tag gesucht, um sich ausführlich zu rächen.

Denn vor einer Woche veröffentlichte das Gesundheitsministerium ein „Schwarzbuch gegen die Gesundheitsreform“. Dokumentiert sind darin Fälle, in denen Ärzte widerrechtlich Praxisgebühr eingezogen oder mit falschen Behauptungen Stimmung gegen die Politik gemacht haben. Dass jedoch „das öffentliche Klima für die Reform systematisch und wider besseres Wissen vergiftet“ wurde, konnte Hoppe unmöglich auf sich und den 380.000 Ärzten in Deutschland sitzen lassen.

Es wäre nun ganz falsch, von einer „unmoralischen Schlammschlacht“ zu reden. Denn der Feingeist Hoppe verwendet Moral und Ironie in gezielten Dosen. Er greift die erklärten Absichten Ulla Schmidts auf und wendet sie gegen die Ministerin.

Mit der prognostizierten Schließung von Krankenhäusern zum Beispiel hat Hoppe grundsätzlich Recht: Politisch wird der Abbau von Krankenhausbetten gewollt. Doch das hat damit zu tun, dass es vor allem in Großstädten eine groteske Überversorgung mit Betten gibt, die noch nicht einmal von der Ärzteschaft geleugnet wird.

Unzählige Patienten, denen schon einmal gesagt wurde: „Bleiben Sie doch übers Wochenende, schaden kann es nicht“ – ohne dass an diesem Wochenende ein Arzt an ihnen vorbeigelaufen wäre –, können das bestätigen. Die Umstellung des Abrechnungssystems in Krankenhäusern, die den Bettenabbau beschleunigen soll, wird im Übrigen seit Jahren vorbereitet und hat mit der aktuellen Gesundheitsreform überhaupt nichts zu tun.

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit den anderen Prognosen Hoppes. Tatsächlich sollen Ärzte in der Praxis „um die Ecke“ nicht mehr allein und unbehelligt vom neuesten Stand der Wissenschaft vor sich hin wurschteln. Statt dessen soll es Ärztezentren geben, in denen Ärzte zusammenarbeiten und sich das teure Röntgengerät vielleicht auch teilen. Mit „Staatsmedizin“ hat dies nichts zu tun. Denn die Finanzierung läuft weiter über Krankenkassenbeiträge und nicht über Steuern. Im Übrigen hat die Ärztelobby einen Qualitäts- und damit Verdrängungswettbewerb zwischen niedergelassenen Ärzten in den Reformverhandlungen erfolgreich verhindert.

Beim Versichertenvolk wird von Hoppes Befürchtungen hängen bleiben, was hängen bleiben soll: Alles wird schlechter, wir Ärzte möchten euch ja gern retten, aber ach, die Regierung kürzt die Mittel. Damit dockt der Bundesärztekammer-Vorsitzende emotional an die Empörung über Praxisgebühr und Zuzahlungen an und kann sich ängstlicher Zustimmung sicher sein.

Man könnte Hoppe entgegnen, dass Praxisgebühr und Zuzahlungen leider überhaupt erst nötig waren, weil die Ärzte weiter überflüssig und schädlich röntgen und weiter überflüssige und schädliche Herzkatheder legen wollen. Doch dafür gibt es erstens doch noch zu viele nette und gute Ärzte. Und zweitens ist es ja schließlich doch die Politik, die beim Geldsammeln immer den einfachsten Weg geht: Lieber bei den Patienten nehmen, was der Lobby nicht abzuringen ist. Von aufrichtiger Sorge zeugt das alles nicht – weder auf Seiten der Ärzteschaft noch auf Seiten der Politiker.