X-Mas-Rastas und WeihnachtshasserInnen

Nicht jede findet an den Weihnachtstagen im Kreis der mehr oder weniger Nächsten ihre besinnliche Ruhe – oder möchte das gar nicht. Wer am Heiligen Abend lieber vor die Tür geht, findet Gleichgesinnte: In der Markthalle feiert Jamaica Papa Curvin, im Centro Sociale treffen sich die WeihnachtshasserInnen, der Rest tanzt zu Liebesliedern für Einsame

Das allenthalben sicher nicht ohne guten Grund als „schönstes Fest des Jahres“ gepriesene Weihnachtsfest hat auch in diesem Jahr seine offenen Fragen. Eine davon ist jene nach den Möglichkeiten, außerhalb der geschlossenen Kreise der mehr oder weniger Nächsten am Heiligen Abend wie auch immer prekäre Formen von Gemeinschaft zu finden.

Eine der traditionellen Adressen für die Post-Bescherungs-Zeit ist natürlich Jamaica Papa Curvins X-Mas Reggae-Konzert in der Markthalle. Es gibt in dieser Stadt wohl wenige, die das weihnachtliche „Alle Jahr wieder…“ derart wörtlich nehmen wie der 65-Jährige. Noch in den 60ern brachte der Drummer, Sänger und Bandleader mit den „Bamboos of Jamaica“ karibisches Flair auf Kreuzfahrtschiffbühnen, wurde der Seefahrerei aber schnell überdrüssig und ließ sich stattdessen in Deutschland nieder. In den 80ern brachte er dann den Reggae auf Hunderten von Konzerten bis in den letzten Winkel der Bundesrepublik und heißt deshalb heute verdientermaßen „Germanys Grandfather of Roots Rock Reggae“.

Seit 23 Jahren steht er nun alljährlich am Heiligabend auf der Bühne der Markthalle und beginnt seine X-Mas-Reggae-Tour. Dieses Jahr unterstützen Ray Darvin, Mighty Howard, der „Backbone Band“ und „Cruzial Vibez“ featuring Cranic Kid Papa Cruvin bei der Verkündung seines Credos „Peace, Love – and Understanding“. Und das klingt ja schon ein wenig weihnachtlich. (Mi, 24. 12., 22 Uhr, Markthalle, Klosterwall 11)

An eine ganz andere Klientel Gemeinschaftssuchender richtet sich hingegen der dieses Jahr zum ersten Mal stattfindende „Club der Weihnachtshasser/innen“ im neuen Centro Sociale zwischen Schanzen- und Karoviertel. Angesprochen sind hier all jene, die keine Lust haben auf „Engelgedöns und Weihnachtsmusik“ und deswegen am Heiligen Abend lieber einen „Wieauchimmer-Abend“ verbringen wollen. Wer eine weihnachtsfreie Zuflucht sucht, trifft hier weder auf bärtige Männer in weiß-roten Mänteln noch auf sonstige Jahresendzeitfiguren. Und sogar der dieser Monate von der breiten Mehrheit so sorglos gefeierte Konsum soll draußen bleiben. Dafür gibt es schon eine Reihe von Ideen dessen, was erwünscht ist. Erlaubt und gewollt ist beispielsweise der gegenseitige Vortrag von Liedgut und Text, das Einwerfen ungeliebter Geschenke in die dafür vorgesehene Mülltonne oder das Verwenden ebenjener beim Schrottjulklapp. Als Geste gegen all die Weihnachtlichkeit sollen schließlich bedeutende Frauen und Männer der Aufklärung hochgelebt werden lassen. Wie auch immer, hier muss man nicht mal froh sein und darf sich ausdrücklich dem Frust oder Blues hingeben. (Mi, 24. 12., 17 Uhr, Centro Sociale, Sternstraße 2)

Für all jene, die den Schutz der Heiligen Nacht lieber nutzen wollen, um sich zu „Lovesongs for the unloved“ schon mal ungesehen die ersten Pfunde der letzten Wochen wieder abzuringen, öffnet derweil der Hafenklang zur vierten kostenfreien „Nacht der offenen Tür“. Getanzt wird hier zu ganz und gar unweihnachtlichem Elektronischen aus der „Drumbule“, von den „Rotzigen Beats“ und dem „Dubstep Department“.

Wer indes auf der Suche nach Wahrheit ist, sollte sich lieber eine der kleineren Kneipen aussuchen, am besten eine, in der man noch nie war. Wer den Mut aufbringt, bis nach zwei Uhr nachts zu bleiben, trifft bestimmt einen Engel, einen gefallenen vielleicht. ROBERT MATTHIES