OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Buster Keaton war in seinen Filmen nie darauf festgelegt, Charaktere einer bestimmten Gesellschaftsschicht zu spielen. Wichtig ist in seinen Filmen vor allem, dass die Figuren unabhängig von ihrer sozialen Stellung Defizite aufweisen: In „Der Navigator“ (1924) verkörpert Keaton den völlig lebensuntüchtigen Millionärssohn Rollo Treadway, der sich unversehens allein mit der Reedertochter Betsy O’Brien (Kathryn McGuire) auf einem im Ozean treibenden Passagierdampfer wiederfindet, wo die beiden verwöhnten jungen Leute erst einmal das Überleben erlernen müssen. Und das funktioniert nur, wenn man erkennt, dass man Kaffee nicht mit Meerwasser kochen kann. Stärker als in anderen Keaton-Filmen beruhen die Gags in „Der Navigator“ auf dem Umgang mit Requisiten, vor allem mit dem Schiff. Dessen schiere Größe macht sich Keaton immer wieder zunutze, egal, ob sich Rollo und Betsy auf der Suche nacheinander in einer Reihe brillanter optischer Gags zunächst immer wieder verpassen oder ob die beiden in der Kombüse riesige Probleme bekommen, weil alle Gerätschaften für die Verköstigung von Hunderten von Passagieren ausgelegt sind. Des Nachts bekommen die beiden auf dem großen verlassenen Schiff Angst, weil die Kabinentüren unisono im Rhythmus des Wellengangs auf- und zuklappen – ein komplizierter mechanischer Gag, auf den Keaton besonders stolz war. „Der Navigator“ ist vermutlich Keatons gagreichster, auf alle Fälle jedoch nicht zuletzt dank der prominenten Rolle der bezaubernden und witzigen Kathryn MacGuire der charmanteste Film Buster Keatons.

Wer mit seinen (kleinen) Kindern einen Kinobesuch zum Jahreswechsel plant, sollte die Zeichentrickproduktion „Lauras Stern“ (2004) nach den Bilderbüchern von Klaus Baumgart ins Auge fassen. Deutlich inspiriert von einigen der kindgerechteren Filme Hayao Miyazakis erzählen die Regisseure Piet de Rycker und Thilo Graf Rothkirch eine Geschichte ohne jede Bedrohungsszenarien, in der sich die fantastischen Erlebnisse von Laura, ihrem kleinen Bruder Tommy und dem Nachbarjungen Max wie selbstverständlich aus den Lebensumständen der Kinder – wie etwa der Suche nach neuen Freunden als Folge eines Umzugs – herleiten.

Verstümmelt wurden Erich von Stroheims Filme fast alle. Doch keines seiner Werke traf es so schlimm wie „Greed“ (1923), seine Verfilmung von Frank Norris’ naturalistischem Roman „McTeague“: Ursprünglich fast neun Stunden lang, ließ das Studio das Werk um den sozialen Abstieg eines Ehepaares auf etwa zwei Stunden kürzen. Völlig sinnentstellend wurden ganze Sequenzen umgestellt und eine Reihe von kommentierenden Nebenhandlungen entfernt. Der amerikanische Filmhistoriker Rick Schmidlin hat sich die Mühe gemacht, „Greed“ anhand des originalen Drehbuchs mit noch vorhandenen Standfotos der vermissten Szenen und erklärenden Zwischentiteln digital zu rekonstruieren und zu restaurieren. Nun hat das Stroheim’sche Meisterwerk (bei der „Magical History Tour“ im Arsenal) immerhin wieder eine Länge von über vier Stunden. LARS PENNING

„Der Navigator“ 27.–28. 12. im Arsenal 1

„Lauras Stern“ 25.–31. 12. im Blow Up; 27./28./30. 12. im Union

„Greed“ (OF) 30. 12. im Arsenal 2